von Friedrich Nietzsche
Wahrlich, dieser Mensch,
trotz seiner Jugend, versteht sich auf die Improvisation des Lebens und
setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen – es scheint nämlich,
daß er keinen Fehlgriff tut, ob er schon fortwährend das gewagteste
Spiel spielt. Man wird an jene improvisierenden Meister der Tonkunst
erinnert, denen auch der Zuhörer eine göttliche Unfehlbarkeit der Hand
zuschreiben möchte, trotzdem, daß sie sich hier und da vergreifen, wie
jeder Sterbliche sich vergreift. Aber sie sind geübt und erfinderisch,
und im Augenblick immer bereit, den zufälligsten Ton, wohin ein Wurf des
Fingers, eine Laune sie treibt, sofort in das thematische Gefüge
einzuordnen und dem Zufalle einen schönen Sinn und eine Seele
einzuhauchen.
Hier ist ein ganz anderer Mensch: dem mißrät im Grunde
alles, was er will und plant. Das, woran er gelegentlich sein Herz
gehängt hat, brachte ihn schon einige Male an den Abgrund und in die
nächste Nähe des Unterganges; und wenn er dem noch entwischte, so doch
gewiß nicht nur »mit einem blauen Auge«. Glaubt ihr, daß er darüber
unglücklich ist? Er hat längst bei sich beschlossen, eigene Wünsche und
Pläne nicht so wichtig zu nehmen. »Gelingt mir dies nicht«, so redet er
sich zu, »dann gelingt mir vielleicht jenes; und im ganzen weiß ich
nicht, ob ich nicht meinem Mißlingen mehr zu Danke verpflichtet bin als
irgendwelchem Gelingen. Bin ich dazu gemacht, eigensinnig zu sein und
die Hörner des Stieres zu tragen? Das, was mir Wert und Ergebnis des
Lebens ausmacht, liegt woanders; mein Stolz und ebenso mein Elend liegt
woanders. Ich weiß mehr vom Leben, weil ich so oft daran war, es zu
verlieren: und eben darum habe ich mehr vom Leben als ihr alle!«
Gute Nacht!
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