von Robert Musil
»Blech reden« ist ein mit Genie erfundenes Wort. Es enthält: das
Glänzende, das nicht Gold ist; den durchdringend unangenehmen Klang; das
Lebhafte, das Auswalzbare. Würde man »Blech schreiben« sagen, wie viele
wichtige zeitgenössische Erscheinungen ließen sich damit erklären! Aber
der Gebrauch dieses Worts ist in Abnahme begriffen. Irgendwann wird es
wie »Aar« und »hehr« sein. Spätere Schriftstellergenerationen werden
dann in Festreden sagen: »Die Väter haben Blech geschrieben«, und ein
ungläubiger Schauer wird die Zuhörer ergreifen.
Warum kann die Sprache solche vollendeten Bildungen nicht
festhalten? Wie man für alles Häßliche ein schmeichelhaftes Wort hat,
nennt man dieses Sterben das Leben der Sprache. Also warum
lebt die Sprache? Sie ist dabei doppelt so umständlich und
lang geworden, als sie es vor einigen Jahrhunderten war, ohne
dementsprechend an Ausdrucksfähigkeit zu gewinnen. Wir lassen die
Artikel weg, wir lassen Zeitworte weg, wir lassen die Bedeutung weg; wir
treten ihr vorne auf den Kopf und hinten auf den Schwanz, aber es nutzt
nichts mehr, sie wird immer länger. Wir fühlen deutlich, daß sie immer
häßlicher wird, ohne es ändern zu können. Es gibt da etwas, das wir
beklagen, aber offenbar trotzdem unausgesetzt tun. Wenn irgend etwas ein
Hundeleben heißen darf, so ist es das der Sprache!
Ich habe unlängst eine Hundeausstellung besucht, und dabei sind
mir einige ihrer Teilnehmer aufgefallen, die verblüffend genau der
Vorstellung entsprachen, die ich mir zeitlebens von dem Begriff »Köter«
gemacht habe. Man nennt wohl so etwas, das vorn wie ein Windhund
aussieht und hinten wie ein Dackel, rechts wie ein Bulldogg und links
wie ein Terrier, eine »Promenadenmischung«.
Von solcher Rasse ist entwicklungsgesetzlich auch die
menschliche und namentlich die deutsche Sprache. Die Sprachen der
Kanzleien, der Zeitungen, der Studenten, der Gauner, der benachbarten
Völker, der katholischen Kirche und des Römischen Imperiums haben im
Guten wie im Schlechten ihre Spuren darin hinterlassen, und wenn man
schon gegen das Gute nichts einwenden darf, warum tut man es dann nicht
wenigstens gegen das Böse? Die berühmten Entwicklungsgesetze sagen uns
leider, daß man es gegen das Böse am wenigsten
tut.
Aber auch die Sprachgewohnheiten sind Gewohnheiten; und warum nimmt man
also mit besonderer Vorliebe schlechte Gewohnheiten an? Da mündet die
Sprache, die dem Menschen aus dem Mund kommt, wieder in ihn und fährt
von ihrer Ausgangsstellung einwärts bis an Herz und Nieren.
Denn die Vorliebe für schlechte Gewohnheiten ist ein bestimmter
Grad des Vertrauens in die Aufgaben der Menschheit. Man nimmt sie an,
weil der, der sie hat, das große Wort führt. Weil er imponiert. Weil sie
Mode sind. Weil man sie täglich sieht und hört. Weil sie
bequem sind und man selbst nicht gern nachdenkt. Aber in erster Linie
nimmt man sie wohl doch nur deshalb an, weil sie eben keine guten sind.
Wir fühlen uns erst, wenn wir uns recht schlecht aufführen, einigermaßen
sicher, daß wir uns nicht geziert betragen.
Gute Nacht!
Dienstag, 26. November 2013
Sonntag, 17. November 2013
Tragische Geschichte
von Adelbert von Chamisso
Gute Nacht!
's war einer, dem's zu Herzen ging,
Daß ihm der Zopf so hinten hing,
Er wollt es anders haben.
So denkt er denn: wie fang ich's an?
Ich dreh mich um, so ist's getan –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da hat er flink sich umgedreht,
Und wie es stund, es annoch steht –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da dreht er schnell sich anders 'rum,
's wird aber noch nicht besser drum –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich links, er dreht sich rechts,
Es tut nichts Guts, es tut nichts Schlechts –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Es dreht sich wie ein Kreisel fort,
Es hilft zu nichts, in einem Wort –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Und seht, er dreht sich immer noch,
Und denkt: es hilft am Ende doch –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Gute Nacht!
Sonntag, 10. November 2013
Über Toleranz
von Albert Einstein
Wenn ich nun darüber nachdenke, was eigentlich Toleranz sei, fällt mir die drollige Definition ein, die der humorvolle Wilhelm Busch von der Enthaltsamkeit gegeben hat:
So
möchte ich sagen: Toleranz ist das menschenfreundliche Verständnis für
Eigenschaften, Auffassungen und Handlunge anderer Individuen, die der
eigenen Gewohnheit, der eigenen Überzeugung und dem eigenen Geschmack
fremd sind. Toleranz heiß also nicht Gleichgültigkeit gegen das
Handeln und Fühlen des oder der andern; es muss auch Verständnis und
Einfühlung dabei sein…
Das Große und Edle kommt von der einsamen Persönlichkeit, sei es ein Kunstwerk oder eine bedeutende schöpferische wissenschaftliche Leistung. Die europäische Kultur erlebte ihren wichtigsten Aufschwung aus dumpfem Verharren heraus, als die Renaissance dem Individuum Möglichkeiten zur freien Entfaltung bot.
Die wichtigste Art der Toleranz ist deshalb die der Gesellschaft und des Staates gegen das Individuum. Der Staat ist gewiss nötig, um dem Individuum die Sicherheit für seine Entwicklung zu geben, aber wenn er zur Hauptsache wird und der einzelne Mensch zu seinem willenlosen Werkzeug, dann gehen alle feineren Werte verloren. Wie der Fels erst verwittern muss, damit Bäume auf ihm wachsen können, und der Ackerboden erst aufgelockert werden muss, damit er seine Fruchtbarkeit entfalten kann, so sprießen auch aus der menschlichen Gesellschaft nur dann wertvolle Leistungen hervor, wenn sie genügend gelockert ist, um dem einzelnen freie Entfaltung seiner Fähigkeiten zu ermöglichen.
Gute Nacht!
Wenn ich nun darüber nachdenke, was eigentlich Toleranz sei, fällt mir die drollige Definition ein, die der humorvolle Wilhelm Busch von der Enthaltsamkeit gegeben hat:
Enthaltsamkeit ist das Vergnügen
An Dingen, welche wir nicht kriegen.
Das Große und Edle kommt von der einsamen Persönlichkeit, sei es ein Kunstwerk oder eine bedeutende schöpferische wissenschaftliche Leistung. Die europäische Kultur erlebte ihren wichtigsten Aufschwung aus dumpfem Verharren heraus, als die Renaissance dem Individuum Möglichkeiten zur freien Entfaltung bot.
Die wichtigste Art der Toleranz ist deshalb die der Gesellschaft und des Staates gegen das Individuum. Der Staat ist gewiss nötig, um dem Individuum die Sicherheit für seine Entwicklung zu geben, aber wenn er zur Hauptsache wird und der einzelne Mensch zu seinem willenlosen Werkzeug, dann gehen alle feineren Werte verloren. Wie der Fels erst verwittern muss, damit Bäume auf ihm wachsen können, und der Ackerboden erst aufgelockert werden muss, damit er seine Fruchtbarkeit entfalten kann, so sprießen auch aus der menschlichen Gesellschaft nur dann wertvolle Leistungen hervor, wenn sie genügend gelockert ist, um dem einzelnen freie Entfaltung seiner Fähigkeiten zu ermöglichen.
Gute Nacht!
Dienstag, 5. November 2013
Vom Erfassen der menschlichen Seele
von Arthur Schnitzler
Stehst du am Fuß eines gewaltigen Bergmassivs, so weißt du noch lange nichts von dessen Vielfältigkeiten, ahnst nicht, welche Höhen hinter seinem Gipfel oder hinter dem, was dir als Gipfel erscheint, aufragen, ahnst weder die tückischen Abgründe noch die bequemen Ruheplätze, die zwischen den Felsen sich verbergen. Allmählich erst, während du emporsteigst und weiterschweifst, enthüllen sich dir die Geheimnisse der Berglandschaft, vermutete und überraschende, wesentliche und bedeutungslose, auch diese alle nur je nach der Richtung, die du nahmst; und niemals werden alle dir offenbar.
Einer menschlichen Seele gegenüber ergeht es dir nicht anders. Was dir, so nah du seist, im ersten flüchtigen Anblick vor Augen steht, ist noch nicht die Wahrheit, gewiss nicht die ganze. Auf dem Wege erst, wenn du scharfe Augen hast, und nicht Nebel dir den Blick trüben, erschließt sich dir allmählich und immer nur teilweise das innerste Wesen jener Seele. Und auch darin ist es das gleiche, dass dir, während du dich allmählich aus dem durchforschten Gebiete entfernst, all die Vielfältigkeit, die du auf deiner Wanderung erlebtest, wie ein Traum verblasst, und dass du, wenn du vor endgültigem Abschiednehmen noch einmal zurückschaust, wieder nichts anderes erblickst als jenes Massiv, das dir trügerischer Weise so einfach erschien, und jenen Gipfel, der es gar nicht war.
Nur Richtung ist Realität, das Ziel ist immer eine Fiktion, auch das erreichte - und dieses oft ganz besonders.
Stehst du am Fuß eines gewaltigen Bergmassivs, so weißt du noch lange nichts von dessen Vielfältigkeiten, ahnst nicht, welche Höhen hinter seinem Gipfel oder hinter dem, was dir als Gipfel erscheint, aufragen, ahnst weder die tückischen Abgründe noch die bequemen Ruheplätze, die zwischen den Felsen sich verbergen. Allmählich erst, während du emporsteigst und weiterschweifst, enthüllen sich dir die Geheimnisse der Berglandschaft, vermutete und überraschende, wesentliche und bedeutungslose, auch diese alle nur je nach der Richtung, die du nahmst; und niemals werden alle dir offenbar.
Einer menschlichen Seele gegenüber ergeht es dir nicht anders. Was dir, so nah du seist, im ersten flüchtigen Anblick vor Augen steht, ist noch nicht die Wahrheit, gewiss nicht die ganze. Auf dem Wege erst, wenn du scharfe Augen hast, und nicht Nebel dir den Blick trüben, erschließt sich dir allmählich und immer nur teilweise das innerste Wesen jener Seele. Und auch darin ist es das gleiche, dass dir, während du dich allmählich aus dem durchforschten Gebiete entfernst, all die Vielfältigkeit, die du auf deiner Wanderung erlebtest, wie ein Traum verblasst, und dass du, wenn du vor endgültigem Abschiednehmen noch einmal zurückschaust, wieder nichts anderes erblickst als jenes Massiv, das dir trügerischer Weise so einfach erschien, und jenen Gipfel, der es gar nicht war.
Nur Richtung ist Realität, das Ziel ist immer eine Fiktion, auch das erreichte - und dieses oft ganz besonders.
Gute Nacht!
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