Donnerstag, 25. Juni 2015

Über den Ehrgeiz

von Yoshida Kenkô
 

Wer mit seinen Kenntnissen prunkt und sich ehrgeizig in einen Wettstreit mit anderen einlässt, der ist wie gehörntes Vieh, das seine Hörner zum Kampfe senkt oder wie ein scharfzähniges Tier, das seine Zähne weißt.
Für einen Menschen aber ziemt es sich, mit seinen Fähigkeiten nie zu prahlen oder darin mit anderen zu wetteifern. Es ist überdies etwas sehr Übles, andere übertreffen zu wollen.
Wenn Leute von hohem Rang, großem Talent oder mit berühmten Ahnen glauben, sie seien aus diesem Grunde anderen überlegen, so begehen sie, mögen sie ihre Überzeugung auch nicht offen äußern, in ihrem Herzen einen schweren Irrtum. Sie sollten sich eher bemühen, sich zu beherrschen und ihre Vorzüge zu vergessen, denn gerade diese Überheblichkeit sieht töricht aus, bewirkt, dass die Mitmenschen allerlei beanstanden und fordert das Unglück heraus.
Ein Mann, der sein Fach wirklich versteht, ist sich seiner Mängel selber deutlich bewusst und aus diesem Grunde nie mit sich selbst zufrieden. Er wird sich seiner Fähigkeiten niemals rühmen. Verfügt ein bejahrter Mann auf irgendeinem Gebiet über bedeutendes Wissen und fragen sich seine Zeitgenossen besorgt, wen sie nach seinem Tod wohl um Rat angehen könnten, so darf er sich wohl sagen, er lebe, gewissermaßen zur Rechtfertigung aller seiner Altersgenossen, nicht umsonst. Aber es erscheint mir doch etwas kläglich, wenn er sich wie in seiner Jugendzeit immer weiter abmüht und sich nicht die geringste Muße gönnt. Er sollte eher dann und wann sagen: "Ich habe das ganz vergessen".
Bietet jedoch einer, der die allermeisten Dinge dieser Welt gut kennt, sein Wissen jedermann ohne Zögern an, so urteilen die Leute meist, mit seinen Fähigkeiten sei es wohl gar nicht so weit her und es könnte ja auch sein, dass er sich einmal irre. Fügt er jedoch bescheiden hinzu, so genau wisse er es freilich nicht, so sind die Zuhörer meist sofort überzeugt, dass er in seinem Fach ein Meister sei. Spricht er aber auch über Dinge, die er nicht versteht, mit solch kämpferischer Überheblichkeit, dass niemand einen Widerspruch wagt, so ist es sehr jämmerlich, weil die Zuhörer gefügig weiterlauschen, obgleich sie ihm gar nicht glauben.


Gute Nacht!

Mittwoch, 17. Juni 2015

Nur zwei Dinge

von Gottfried Benn
Durch so viele Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage-
dein fernbestimmtes: Du mußt.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.
Gute Nacht!

Montag, 8. Juni 2015

Auf der Schulbank

von Albrecht Goes

"Den bösen Tag nimm auch für gut": es kann nicht gemeint sein, dass wir uns in eine unwahrhaftige Schönfärberei, in einen Glückskrampf hineinschwingen sollen - das Schwere ist schwer, und das Rätselvolle bleibt rätselvoll, und Tränen sind erlaubt; nur dies ist gemeint: begreif: du sitzt nicht im Zeugnisconvent, sondern - auf der Schulbank.
Auf der Schulbank - und das heißt: es geht weiter. Du wirst dein Heute nicht ohne dein Gestern leben können, du wirst in deinem Heute mit deinem Gestern leben. Aber weil es weitergeht, wird in jedem Tag auch etwas vom Erstaunen sein, als erführst du's zum erstenmal - und in jedem auch etwas wie Anlass zur Dankbarkeit, wie man im Abschiednehmen dankt, und es ist ja auch Abschied: denn diesen Tag, ja - diesen Tag lebst du zum letztenmal.


Gute Nacht!
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