Samstag, 30. Juli 2016

Die einen kommen erster Klasse zur Welt

von Gerd Wollschon

Die einen kommen erster Klasse zur Welt,
die anderen kommen zweiter Klasse zur Welt.
Die einen werden gebildet,
die anderen werden ausgebildet.
Die einen stellen danach etwas dar,
die anderen stellen danach etwas her.
Die einen verdienen,
die anderen dienen.
Der Unternehmer heißt Unternehmer, weil er etwas unternimmt.
Der Arbeiter heißt Arbeiter, weil er arbeitet.

Gute Nacht!

Sonntag, 17. Juli 2016

Aphorismen

von Georg Christoph Lichtenberg

Es gibt keine wichtigere Lebensregel in der Welt als die: Halte dich, soviel du kannst, zu Leuten, die geschickter sind als du, aber doch nicht so sehr unterschieden sind, dass du sie nicht begreifst. Das Erheben wird deinem Ehrgeiz durch Instinkt leichter werden als dem Allzugroßen das Herablassen aus kalter Entschließung.

Der Umgang mit vernünftigen Leuten ist deswegen jedermann so sehr anzuraten, weil ein Dummkopf auf diese Art durch Nachahmen klug handeln lernen kann, denn die größten Dummköpfe können nachahmen, selbst die Affen, Pudelhunde und Elefanten können es.

Ich habe sehr häufig gefunden, daß gemeine Leute, die nicht rauchten, an Orten, wo das Rauchen gewöhnlich ist, immer sehr gute und tätige Menschen waren. Bei dem gemeinen Mann ist es leicht zu erklären; es verrät bei dieser Klasse vorzüglich schon etwas Gutes, sich von einer solchen Mode nicht hinreißen zu lassen, oder überhaupt etwas zu unterlassen, was wenigstens von Anfang nicht behagt. Auch muß ich gestehen, daß von allen den Gelehrten, die ich in meinem Leben habe kennen gelernt, und die ich eigentlich Genies nennen möchte, kein einziger geraucht hat. – Hat wohl Lessing geraucht?

Es ist für die Vervollkommnung unseres Geistes gefährlich, Beifall durch Werke zu erhalten, die nicht unsere ganze Kraft erfordern. Man steht alsdann gewöhnlich stille. Rochefoucauld glaubt daher, es habe noch nie ein Mensch alles das getan, was er habe tun können; ich halte dafür, daß dieses größtenteils wahr ist. Jede menschliche Seele hat eine Portion Indolenz, wodurch sie geneigt wird, das vorzüglich zu tun, was ihr leicht wird.

Wenn ich noch ein Zeichen des Verstandes angeben soll, das mich selten betrogen hat, so ist es dieses, dass Leute, die sehr viel älter sind, als sie scheinen, selten viel Verstand hatten, und umgekehrt junge Leute, die alt aussehen, sich auch dem Verstand des Alters nähern. Man wird mich verstehen und nicht etwa glauben, dass [ich] unter jung Aussehen Gesundheit und frische Farbe und unter Anschein des Alters Falten und Blässe verstehe.

Eine angenehme Stimme ist sehr oft mit sonst übrigens guten Eigenschaften des Leibes und der Seele verbunden. Und doch sind so viel Sängerinnen Huren und die meisten Menschen haben schlechte Stimmen.

Man gibt falsche Meinungen, die man von Menschen gefasst hat, nicht gern auf, sobald man sich dabei auf subtile Anwendung von Menschenkenntnis etwas zugute tun [zu] können für berechtigt hält und glaubt, solche Blicke in das Herz des andern könnten nur gewisse Eingeweihte tun. – Es gibt daher wenige Fächer der menschlichen Erkenntnis, worin das Halbwissen größern Schaden tun kann, als dieses Fach.


Gute Nacht!

Samstag, 9. Juli 2016

Ode an die Katze

von Pablo Neruda

Unvollkommen
waren die Tiere
lange Schwänze, triste
Häupter.
Allmählich
nahmen sie sich zusammen,
wurden zur Landschaft,
bekamen Tupfen, Grazie, Flügel.
Die Katze,
alleine die Katze
trat gleich vollkommen auf
die Nase erhoben
war von Geburt an völlig fertig:
Sie läuft allein und weiß genau, was sie will.

Der Mensch möchte Fisch sein und Vogel,
die Schlange hätte gerne Schwingen,
der Hund ist ein fehlgeleiteter Löwe,
der Ingenieur wäre lieber Dichter,
die Fliege übt den Flug der Schwalbe,
der Dichter eifert nach der Fliege,
nur die Katze
will nichts als Katze sein,
und jede Katze ist Katze
vom Bart bis zum Schwanz,
von der Vorahnung zur lebendigen Ratte,
von der Nacht bis zu den goldenen Augen.

Nichts Ganzes
gleicht ihr,
weder Mond noch Blüte
sind
so wohlgeordnet:
Sie ist ein Eines
wie Sonne und Topasstein,
und ihr geschmeidig gestrichelter Umriß
ist fest und fein gezogen
wie die Buglinie eines Schiffes.
Ihre gelben Augen
lassen
nur einen Schlitz frei,
damit die Nacht ihr Kleingeld hineinwirft.

O kleiner
Kaiser ohne Weltreich,
Eroberer du ohne Heimat,
winziger Salontiger, Bräutigam,
Pascha im Himmel
liebeshungriger Dächer,
jaulst nach dem Sturmwind
der Liebe
bei jedem Wetter,
wenn du auftrittst
und setzt
vier weiche Pfoten
auf den Boden,
witternd,
allem mißtrauend,
was erdgebunden,
denn unrein
ist alles
dem makellosen Fuß der Katze.

O ungebundenes Raubtier
des Hauses, Nachtspur
hochmütig,
Turnerin, träge
und unnahbar,
abgrundtiefe Katze,
Geheimdienst
in den Zimmern,
Hoheitszeichen
lange schon
verschwundenen Samtes,
wahrscheinlich ist
kein Rätsel
an deinem Benehmen,
vielleicht bist du kein Geheimnis,
jedermann kennt dich, du gehörst
dem geheimnislosesten der Anwohner,
vielleicht dünken sich alle,
wähnen sich Herren,
Besitzer, Onkel
von Katzen, Weggefährten,
Kollegen,
Lehrlinge und Freunde
ihrer Katze.

Ich nicht.
Ich spiele nicht mit.
Ich kenne die Katze nicht.
Alles kenn ich, das Leben und seine vielen Inseln,
das Meer, die unzählbare Großstadt,
die Botanik,
die Blütenbestäubung samt ihrer Irrwegen,
das Mal und Minus der Mathematik,
der Welt vulkanische Trichter,
die irreale Schale des Krokodils,
des Feuerwehrmanns verkannte Güte,
des Priesters blauen Atavismus,
nur eine Katze kann ich nicht enträtseln.
Meine Vernunft prallt ab an ihrem Gleichmut,
in ihren Augen stehen goldne Ziffern.
Gute Nacht!

Montag, 4. Juli 2016

Von der Kunst des Liebens

von Erich Fromm
 

Im Gegensatz zur symbiotischen Vereinigung ist die reife Liebe eine Vereinigung, bei der die eigene Integrität und Individualität bewahrt bleibt. Liebe ist eine aktive Kraft im Menschen. Sie ist eine Kraft welche die Wände niederreisst, die den Menschen von seinem Mitmenschen trennen, eine Kraft, die ihn mit anderen vereinigt. Die Liebe lässt ihn das Gefühl der Isolation und Abgetrenntheit überwinden und erlaubt ihm, trotzdem er selbst zu sein und seine Integrität zu behalten. In der Liebe kommt es zu dem Paradoxon, dass zwei Wesen eins werden und trotzdem zwei bleiben. 

Gute Nacht!
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