Sonntag, 31. März 2013

Fröhliche Ostern

von Kurt Tucholsky
Da seht aufs neue dieses alte Wunder:
Der Osterhase kakelt wie ein Huhn
und fabriziert dort unter dem Holunder
ein Ei und noch ein Ei und hat zu tun.

Und auch der Mensch reckt frohbewegt die
Glieder – er zählt die Kinderchens: eins, zwei und drei ...
Ja, was errötet denn die Gattin wieder?
                            Ei, ei, ei
                              ei, ei
                                ei!

Der fleißige Kaufherr aber packt die Ware
ins pappne Ei zum besseren Konsum:
Ein seidnes Schnupftuch, Nadeln für die Haare,
die Glitzerbrosche und das Riechparfuhm.

Das junge Volk, so Mädchen wie die Knaben,
sucht die voll Sinn versteckte Leckerei.
Man ruft beglückt, wenn sies gefunden haben:
                            Ei, ei, ei
                              ei, ei
                                ei!

Und Hans und Lene Steckens in die Jacke,
das liebe Osterei – wen freut es nicht?
Glatt, wohlfeil, etwas süßlich im Geschmacke,
und ohne jedes innre Gleichgewicht.

Die deutsche Politik ... Was wollt ich sagen?
Bei uns zu Lande ist das einerlei –
und kurz und gut: Verderbt euch nicht den Magen!
Vergnügtes Fest! Vergnügtes Osterei!
Gute Nacht!

Samstag, 30. März 2013

Aus dem humanistischen Credo

von Erich Fromm

Ich glaube, dass jeder Mensch die Menschheit repräsentiert. Wir unterscheiden uns in bezug auf unsere Intelligenz, unsere Gesundheit und unsere Begabung. Und trotzdem sind wir alle gleich: Wir alle sind Heilige und Sünder, Erwachsene und Kinder, und keiner steht über dem anderen oder ist sein Richter. Wir alle wurden mit Buddha erleuchtet und mit Christus gekreuzigt, und wir alle haben mit Dschingis Khan, mit Stalin und Hitler gemordet und geraubt.

Ich glaube, dass die eine Welt, die im Entstehen begriffen ist, nur dann Wirklichkeit werden kann, wenn ein neuer Mensch entsteht. Ein Mensch, der sich von den archaischen Bindungen an Blut und Boden freigemacht hat, der sich als Menschensohn, als Weltbürger fühlt und dessen Loyalität der ganzen Menschheit und dem Leben und nicht einem exklusiven Teil derselben gehört. Ein Mensch, der sein Vaterland liebt, weil er die Menschen liebt. Und dessen Urteilsfähigkeit nicht durch seine stammesmäßige Zugehörigkeit geprüft wird.

Ich glaube, dass das Wachstum des Menschen ein ständiger Geburtsprozess ist, ein ständig neues Erwachen. Gewöhnlich sind wir im Halbschlaf und wachen nur so weit auf, wie wir unseren Geschäften nachgehen müssen. Aber wir sind nicht wach genug, um dem Leben gerecht zu werden, worauf es doch allein ankommt. Die großen Führer der Menschheit sind Menschen, die andere aus ihrem Halbschlaf aufgeweckt haben. Die großen Feinde der Menschheit sind die, welche die anderen eingeschläfert haben, wobei es keine Rolle spielt, ob ihr Schlaftrunk die Verehrung Gottes oder die des goldenen Kalbes ist.


Gute Nacht!

Freitag, 29. März 2013

Ode an die Faulheit

von Pablo Neruda

Gestern fühlte ich, die Ode
will nicht aus dem Boden spriessen.
Es war höchste Zeit, sie hätte
zumindest
ein grünes Blatt zeigen müssen.
Ich wühlte die Erde auf: "Steig empor,
Schwester Ode",
sprach ich zu ihr,
"ich habe dich versprochen,
hab keine Furcht, ich werde dich nicht quälen,
vierblättrige Ode,
vierhändige Ode,
Tee wirst Du trinken mit mir.
Steig auf,
ich werde dich krönen unter den Oden alle,
wir werden zusammen ans Ufer
des Meeres auf dem Zweirad fahren."
Fruchtlos war's .
Da zeigte sich die Faulheit
hoch oben in den Pinien,
nackt,
schläfrig mit geblendeten Augen
entführte sie mich,
zeigte mir am Gestade
kleine zerbrochene Stückchen
ozeanischer Stoffe,
Hölzer, Algen, Steine,
Federn von Meeresvögeln.
Ich suchte und fand doch keine
gelben Achate.
Das Meer,
Türme niederreissend,
meiner Heimat Küsten
verheerend,
unaufhörlich Schaumkatastrophen
vor sich hertreibend,
erfüllte den Weltraum.
Einsam am Ufer,
ein Lichtstrahl öffnete
eine Blumenkrone.
Ich sah die silbernen Sturmschwalben kreuzen
und wie schwarze Kreuze
an die Felsen geschmiedet
die Kormorane.
Befreite eine Biene,
die im Spinnennetz mit dem Tode rang,
steckte ein Steinchen
in die Tasche,
sanft fühlte es sich an, ganz sanft
wie eine Vogelbrust,
indes an der Küste miteinander
Sonne und Nebel kämpften,
den ganzen Nachmittag lang.
Zuweilen sog sich der Nebel voll mit Licht
wie ein Topas,
dann wieder fiel
ein feuchter Sonnenstrahl
nieder, gelbe Tropfen sprühend.
Am Abend,
an meine Pflicht,
die flüchtige, die Ode denkend,
zog ich am Feuer
meine Schuhe aus,
wischte den Sand von ihnen,
und sogleich sank ich in Schlaf.

Gute Nacht!

Mittwoch, 27. März 2013

Die Ballade vom angenehmen Leben auf dieser Welt

von François Villon

Er hat ein Bett und hat auch Feuer im Kamin,
es reitet hin und her auf seinen Knien
die reizende Marie. Von wegen jener Glut
sind beide unbedeckt; wozu auch nicht?!
Der süße Wein, der Hetzhund, jagt ihr Blut
zum letzten Schwung. Sie tuns bei Licht,
denn in der Finsternis ist manches unbequem.
Nur der, der lebt, lebt angenehm.

Auch der Villon hat sich noch nie ein Bein
hinkniend ausgerenkt, ein frommer Christ zu sein,
viel weniger noch um einen Bissen Brot
mit Bettel sich beschmutzt; ich danke sehr!
Es kommt die schwarze Pest und Hungersnot
auch zu dem frommen Mann und säuft ihn leer.
Ich frage nicht, woher, wohin die Winde wehn.
Ich habe und wer hat, lebt angenehm.

Da lieg ich, wie ich bin, im hohen Gras
und denk nicht anderes als das,
daß von dem Baum nicht weit der Apfel fällt.
Und in dem Apfel wohnen schon die Würmer drin,
damit er nicht zu lange sich am Stengel hält,
und dabei kommt der Spruch mir in den Sinn:
Mensch, wenn was kommt, frag nicht wofür, für wen,
du hast, und wer was hat, lebt angenehm.

Es geht auf dieser grauen Elendswelt
wohl gar nichts ohne Sorgen um das Geld
und von dem Brot allein wird niemand satt im Darm.
Doch wenn man Wildpret hat und sich mit Wein
den Schlauch anfüllt und hinterdrein noch ein
vergnügtes Weibchen hält im Arm,
für den kann diese Welt zugrunde gehn,
er hat und also lebt er angenehm.

Gute Nacht!

Über die Leidenschaft

 von François de La Rochefoucauld

Die Leidenschaft ist der einzige Redner, der immer überredet. Sie gleicht einer Kunst der Natur, deren Regeln unfehlbar sind; und der einfältigste Mensch, aus dem die Leidenschaft spricht, überzeugt mehr als der beredteste ohne Leidenschaft.


Den Leidenschaften eignet eine Ungerechtigkeit und ein Eigennutz, denen zu folgen gefährlich ist; man muß ihnen daher mißtrauen, selbst wenn sie noch so vernünftig erscheinen.
 

Das menschliche Herz ist eine unerschöpfliche Quelle von Leidenschaften, so dass fast stets das Versiegen der einen zum Ursprung einer anderen wird.
 

Leidenschaften erzeugen oft andere, die ihnen entgegengesetzt sind: so der Geiz Verschwendung und die Verschwendung Geiz. Man ist oft unnachgiebig aus Schwäche und tapfer aus Furcht.
 

Wie sehr man sich auch bemüht, seine Leidenschaften durch den Anschein von Frömmigkeit und Ehre zu verbergen, sie blicken stets durch diese Schleier hindurch.
 

Die Eifersucht ist in einem gewissen Sinne berechtigt und vernünftig, weil sie danach strebt, uns ein Gut zu bewahren, das uns wirklich oder unserer Meinung nach gehört. Aber der Neid ist eine Leidenschaft, die das Gut anderer nicht ertragen kann.
 

Man prahlt oft mit Leidenschaften, selbst mit verbrecherischen. Aber der Neid ist eine scheue und verschämte Leidenschaft, die man nie einzugestehen wagt.
 

Trennung läßt die schwächere Leidenschaft abnehmen und die große wachsen: wie der Wind die Kerzen auslöscht und das Feuer anfacht.
Bei keiner Leidenschaft herrscht die Selbstliebe so gewaltig wie bei der Liebe, und man ist stets mehr geneigt, die Ruhe der geliebten Person aufzuopfern, als die eigene zu verlieren.

 

Gute Nacht!

Dienstag, 26. März 2013

Selbstkritik

von Wilhelm Busch


Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab' ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;

Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp' ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
                                  
Und viertens hoff' ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus.

Gute Nacht!

Korf erfindet eine Art von Witzen

 von Christian Morgenstern

Korf erfindet eine Art von Witzen,
die erst viele Stunden später wirken.
Jeder hört sie an mit Langerweile.

Doch als hätt ein Zunder still geglommen,
wird man nachts im Bette plötzlich munter,
selig lächelnd wie ein satter Säugling.

Gute Nacht!
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