Dienstag, 30. Juli 2013

Über die Heiterkeit

von Arthur Schopenhauer

Was einer in sich ist und an sich selber hat; kurz die Persönlichkeit und deren Wert, ist das alleinige Unmittelbare zu seinem Glück und Wohlsein. Alles andere ist mittelbar; daher auch dessen Wirkung vereitelt werden kann, aber die der Persönlichkeit nie. Darum eben ist der auf persönliche Vorzüge gerichtete Neid der unversöhnlichste, wie er auch der am sorgfältigsten verhehlte ist. Ferner ist allein die Beschaffenheit des Bewußtseins das Bleibende und Beharrende, und die Individualität wirkt fortdauernd, anhaltend, mehr oder minder in jedem Augenblick: alles andere hingegen wirkt immer nur zu Zeiten, gelegentlich, vorübergehend, und ist zudem auch noch selbst dem Wechsel und Wandel unterworfen[...]
Hierauf beruht es, daß wir ein ganz und gar von außen auf uns gekommenes Unglück mit mehr Fassung ertragen, als ein selbstverschuldetes: denn das Schicksal kann sich ändern; aber die eigene Beschaffenheit nimmer. Demnach also sind die subjektiven Güter, wie ein edler Charakter, ein fähiger Kopf, ein glückliches Temperament, ein heiterer Sinn und ein wohlbeschaffener, völlig gesunder Leib, also überhaupt: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, zu unserm Glücke die ersten und wichtigsten; weshalb wir auf die Beförderung und Erhaltung derselben viel mehr bedacht sein wollten, als auf den Besitz äußerer Güter und äußerer Ehre. Was nun aber, von jenen allen, uns am unmittelbarsten beglückt, ist die Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt sich augenblicklich selbst. Wer eben fröhlich ist hat allemal Ursache es zu sein: nämlich eben diese, daß er es ist. Nichts kann so sehr, wie diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist. Einer sei, jung, schön, reich und geehrt; so fragt sich, wenn man sein Glück beurteilen will, ob er dabei heiter sei: ist er hingegen heiter, so ist es einerlei, ob er jung oder alt, gerade oder bucklig, arm oder reich sei; er ist glücklich. In früher Jugend machte ich einmal ein altes Buch auf, und da stand: »wer viel lacht ist glücklich, und wer viel weint ist unglücklich« – eine sehr einfältige Bemerkung, die ich aber, wegen ihrer einfachen Wahrheit, doch nicht habe vergessen können[...]
Dieserwegen also sollen wir der Heiterkeit, wenn immer sie sich einstellt, Tür und Tor öffnen: denn sie kommt nie zur unrechten Zeit; statt daß wir oft Bedenken tragen, ihr Eingang zu gestatten, indem wir erst wissen wollen, ob wir denn auch wohl in jeder Hinsicht Ursache haben, zufrieden zu sein; oder auch, weil wir fliehten, in unsern ernsthaften Überlegungen und wichtigen Sorgen dadurch gestört zu werden: allein was wir durch diese bessern, ist sehr ungewiß; hingegen ist Heiterkeit unmittelbarer Gewinn. Sie allein ist gleichsam die bare Münze des Glückes und nicht wie alles andere, bloß der Bankzettel; weil nur sie unmittelbar in der Gegenwart beglückt[...]


Gute Nacht!

Sonntag, 21. Juli 2013

Der Rabe

von Edgar Allan Poe (Übersetzung: Lutz Görner)
 

Einst in dunkler Nacht voll Schauer sann ich angefüllt mit Trauer
Über manche lang verschollne Kunde in den Büchern schwer.
Als in Halbschlaf ich gefallen, drang im Traum zu mir ein Schallen,
Von der Türe her ein Hallen, so als klopfte irgendwer.
»Pocht so spät noch irgend jemand?« gähnte ich, »so spät noch – wer?
Ein Besucher, sonst nichts mehr.«
 

Wenn ich recht erinnre, war es in dem bleichen Rest des Jahres.
Geisternd kam ein sonderbares Flackern vom Kamine her.
Tief ersehnte ich den Morgen, denn umsonst wars, Trost zu borgen
Aus den Büchern für mein Sorgen. Denn mir war das Herz so sehr
Um Lenore, die Geliebte, traurig, bitter, kalt und schwer –
Ach, hier lebt sie nun nicht mehr.
 

Mutig mich vom Stuhl erhob ich und zurück den Riegel schob ich:
Schreckensvolle Bilder sehend, die kein Mensch gesehn vorher.
Doch es herrschte ungebrochen Schweigen, aus dem Dunkel krochen
Keine Zeichen, und gesprochen ward von mir nur ein Wort – schwer:
Nur: »Lenore?« – und ’Lenore’ scholl das Echo zu mir her –
Dieses Wort nur, sonst nichts mehr.
 

Ich ging drauf zurück ins Zimmer, doch mein Herz erschrak noch schlimmer,
Weil ich wieder Klopfen hörte, ungestümer als vorher.
»Sollt ich«, sprach ich, »mich nicht irren, hört ichs jetzt vom Fenster klirren.
Oh, ich werde bald entwirren, was des Rätsels Lösung wär.
Still mein Herz, noch eine Weile, dass ich mir das Ding erklär! –
Wind, der pocht und – sonst nichts mehr!«
 

Hastig stieß ich auf das Fenster. Flatternd kam herein ein ernster,
Stattlich großer, schwarzer Rabe wie aus alten Sagen schwer.
Ohne eines Grußes Zeichen sah ich ihn den Raum durchstreichen.
Würdevoll wie seinesgleichen, flog er durch die Kammer quer
Schnurstracks auf die Pallasbüste über meiner Türe her.
Setzte sich und – sonst nichts mehr.
 

Doch das würdige Gebaren dieses schwarzen Sonderbaren
Wie er auf der Büste thronte, das erheiterte mich sehr.
»Rabe, schwärzer noch als Mohren, sprich, was hast du hier verloren?
Niemand hat dich herbeschworen aus dem Reich am Nebelmeer.
Tu mir kund, wie heißt du, Stolzer aus der Toten Geisterheer!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«
 

Wie ein Mensch sprach er verständlich – ich erstaunte drob unendlich,
Dass er Antwort mir erteilte, wenn auch klug nicht allzu sehr.
Und ich dachte ganz beklommen: »Hat man jemals es vernommen,
Dass ein Rabe angekommen in der Nacht von ungefähr
Und auf einer Büste thronend, unbeweglich so wie der
Mit dem Namen: Nimmermehr?«
 

Grübelnd an den Sinn verloren, den dies ’Nimmermehr’ beschworen,
Fühlte ich des finstren Toren Feuerblick im Herzen schwer.
Auf dem samtnen Sofa liegend, dachte ich, nach vornmich biegend
Und im fahlen Lichte wiegend mit verzehrender Begehr:
»Hier bei mir auf diesen Kissen ruht Lenore nimmermehr,
Nimmer, nimmer, nimmermehr!«
 

»Ob der Rabe tilgt die Zweifel, mir Prophet oder mir Teufel,
Über Leonore droben, nach der ich mich so verzehr?
Sag! Schließ ich am Sternentore in die Arme einst Lenore?
Ewige Musik im Ohre? Frei von irdischer Beschwer?
Finde ich, die ich verloren, diesen Engel, hell undhehr?«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«
 

Und nun war ich wie von Sinnen: »Hebe dich, du Feind, von hinnen,
Satansrabe, voller Tücke, fort ins Reich am Nebelmeer!
Deine Macht will ich dir brechen, deine Lügen, diese frechen,
Wollen mir das Herz zerstechen mit dem Schnabel scharf wie Speer!
Schere dich von meiner Türe! Schwinde ohne Wiederkehr!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«
 

Er bewegt nicht einen Flügel, sitzt dort wie auf einem Hügel
Immer auf der Kammertür, droht mir durch sein Schweigen schwer.
Seine Augen träumen trunken wie Dämonen traumversunken.
Mir zu Füßen hingesunken, zeigt sein Schatten zu mir her,
Meine Seele ist gefangen in dem Raume um mich her.
Wird sie frei sein? – Nimmermehr


Gute Nacht!

Donnerstag, 18. Juli 2013

Zerstreuung

von Blaise Pascal

Man belastet den Menschen von Kindheit an mit der Sorge um ihre Ehre, ihre Güter und sogar um das Gut und die Ehre ihrer Verwandten und Freunde. Man überlastet sie mit dem Studium der Sprachen, Wissenschaften, Leibesübungen und Künste. Man bürdet ihnen Geschäfte auf, und tut ihnen dar, dass sie nicht glücklich sein werden, wenn sie nicht durch ihre Betriebsamkeit und ihre Sorgfalt dafür Sorge tragen, dass ihr Vermögen und ihre Ehre und selbst das Vermögen und die Ehre ihrer Freunde in gutem Stande sei, und lässt sie in dem Glauben, dass sie unglücklich werden, wenn ihnen ein einziges von diesen Dingen fehlte. So gibt man ihnen Ämter und Geschäfte, die ihnen zu schaffen machen vom Morgen bis an den Abend.

Das, sagt ihr, sei eine seltsame Art sie glücklich zu machen. Was könnte man Besseres tun, sie unglücklich zu machen? Fragt ihr, was man tun könnte? Man brauchte ihnen nur alle diese Sorgen zu nehmen, denn alsdann würden sie sich selbst sehen und an sich selbst denken, und das eben ist ihnen unerträglich. Auch nachdem sie sich mit so vielen Geschäften beladen, wenn sie noch einige Zeit der Erholung haben, suchen sie auch diese zu verlieren in irgend einem Vergnügen, das sie ganz in Besitz nimmt und sie sich selbst entreißt.

Darum habe ich, wenn ich anfing das mannigfaltige Hin- und Hertreiben der Menschen zu betrachten, wie sie sich den Gefahren und Mühseligkeiten aussetzen, am Hofe, im Kriege, bei der Verfolgung ihrer ehrgeizigen Ansprüche und wie daraus so viele Zwistigkeiten, Leidenschaften, gefährliche und verderbliche Unternehmungen entspringen, wiederholt gesagt, dass alles Unglück des Menschen daher kommt, dass er es nicht versteht, ruhig allein mit sich in einem Zimmer zu bleiben.


Gute Nacht!

Sonntag, 14. Juli 2013

Lebensregeln für ältere Menschen im Verhältnis zu jüngeren

von Karl Barth
 

Du sollst Dir klar machen, dass die jüngeren, die Verwandten oder sonst lieben Menschen beiderlei Geschlechts ihre Wege nach ihren eigenen (nicht Deinen) Grundsätzen, Ideen und Gelüsten zu gehen, ihre eigenen Erfahrungen zu machen und nach ihrer eigenen (nicht Deiner) Fasson selig zu sein und zu werden das Recht haben.

Du sollst ihnen also weder mit Deinem Vorbild noch mit Deiner Altersweisheit, noch mit Deiner Zuneigung, noch mit Wohltaten nach Deinem Geschmack zu nahe treten.

Du sollst sie in keiner Weise an Deine Person binden und Dir verpflichten wollen.

Du sollst Dich weder wundern noch gar ärgern und betrüben, wenn Du merken musst, dass sie öfters keine oder nur wenig Zeit für Dich haben; dass Du sie, so gut Du es mit ihnen meinen magst und so sicher Du Deiner Sache ihnen gegenüber zu sein denkst, gelegentlich störst und langweilst und dass sie dann unbekümmert an Dir und Deinen Ratschlägen vorbeibrausen.

Du sollst bei diesem ihrem Tun reumütig denken, dass Du es in Deinen jüngeren Jahren den damals älteren Herrschaften gegenüber wahrscheinlich ganz ähnlich gehalten hast.

Du sollst also für jeden Beweis von echter Aufmerksamkeit und ernstlichem Vertrauen, der Dir von ihrer Seite widerfahren mag, dankbar sein. Du sollst aber solche Beweise von ihnen weder erwarten noch gar verlangen.

Du sollst sie unter keinen Umständen fallen lassen, sollst sie vielmehr, indem Du sie frei gibst, in heiterer Gelassenheit begleiten, im Vertrauen auf Gott auch ihnen das Beste zutrauen, sie unter allen Umständen lieb behalten und für sie beten.


Gute Nacht!

Dienstag, 2. Juli 2013

Suche

von Hermann Hesse

Das Wort Glück. Es ist eines von den Wörtern, die ich immer geliebt und gern gehört habe. Mochte man über seine Bedeutung noch so viel streiten und räsonieren können, auf jeden Fall bedeutete es etwas Schönes, etwas Gutes und Wünschenswertes. Und dem entsprechend fand ich den Klang des Wortes.

Ich fand, dieses Wort habe trotz seiner Kürze etwas erstaunlich Schweres und Volles, etwas, was an Gold erinnerte, und richtig war ihm außer der Fülle und Vollwichtigkeit auch der Glanz eigen, wie der Blitz in der Wolke wohnte er in der kurzen Silbe, die so schmelzend und lächelnd mit dem GL begann, im Ü so lachend ruhte und so kurz, und im CK so entschlossen und knapp endete. Es war ein Wort zum Lachen und zum Weinen, ein Wort voll Urzauber und Sinnlichkeit; wenn man es recht empfinden wollte, brauchte man nur ein spätes, flaches, müdes Nickel- oder Kupferwort neben das goldene zu stellen, etwa Gegebenheit oder Nutzbarmachung, dann war alles klar. Kein Zweifel, es kam nicht aus Wörterbüchern und Schulstuben, es war nicht erdacht, abgeleitet oder zusammengesetzt, es war Eins und rund, war vollkommen, es kam aus dem Himmel oder aus der Erde wie Sonnenlicht oder Blumenblick. Wie gut, wie glücklich, wie tröstlich, dass es solche Wörter gab! Ohne sie zu leben und zu denken, wäre Welke und Verödung, wäre wie Leben ohne Brot und Wein, ohne Lachen, ohne Musik.

Gute Nacht!

Montag, 1. Juli 2013

Lob der schwarzen Kirschen

von Anna Louisa Karsch

Des Weinstocks Saftgewächse ward
Von tausend Dichtern laut erhoben;
Warum will denn nach Sängerart
  Kein Mensch die Kirsche loben?

O die karfunkelfarbne Frucht
In reifer Schönheit ward vor diesen
Unfehlbar von der Frau versucht,
  Die Milton hat gepriesen.

Kein Apfel reizet so den Gaum
Und löschet so des Durstes Flammen;
Er mag gleich vom Chineser-Baum
  In ächter Abkunft stammen.

Der ausgekochte Kirschensaft
Giebt aller Sommersuppen beste,
Verleiht der Leber neue Kraft
  Und kühlt der Adern Äste;

Und wem das schreckliche Verboth
Des Arztes jeden Wein geraubet,
Der misch ihn mit der Kirsche roth
  Dann ist er ihm erlaubet;

Und wäre seine Lunge wund,
Und seine ganze Brust durchgraben:
So darf sich doch sein matter Mund
  Mit diesem Tranke laben.

Wenn ich den goldnen Rheinstrandwein
Und silbernen Champagner meide,
Dann Freunde mischt mir Kirschblut drein
  Zur Aug- und Zungenweide:

Dann werd' ich eben so verführt,
Als Eva, die den Baum betrachtet,
So schön gewachsen und geziert,
  Und nach der Frucht geschmachtet.

Ich trink und rufe dreymal hoch!
Ihr Dichter singt im Ernst und Scherze
Zu oft die Rose, singet doch
  Einmal der Kirschen Schwärze!

Gute Nacht!
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