Mittwoch, 24. September 2014

Herbstklage

von Nikolaus Lenau
Holder Lenz, du bist dahin!
Nirgends, nirgends darfst du bleiben!
Wo ich sah dein frohes Blühn,
Braust des Herbstes banges Treiben.

Wie der Wind so traurig fuhr
Durch den Strauch, als ob er weine;
Sterbeseufzer der Natur
Schauern durch die welken Haine.

Wieder ist, wie bald! wie bald!
Mir ein Jahr dahingeschwunden.
Fragend rauscht es aus dem Wald:
'Hat dein Herz sein Glück gefunden?'

Waldesrauschen, wunderbar
Hast du mir das Herz getroffen!
Treulich bringt ein jedes Jahr
Welkes Laub und welkes Hoffen.
Gute Nacht!

Sonntag, 14. September 2014

Die Schale des Verlangens

von Hazrat Inayat Khan

Eine alte Geschichte erzählt von einem König, der einem Derwisch einen Wunsch erfüllen wollte. Der Derwisch wünschte sich, dass man seine Bettelschale mit Goldmünzen füllen möge. Der König hielt es für ein Leichtes, die Schale zu füllen. Aber die Schale erwies sich als eine Zauberschale. Je mehr er auch versuchte, sie zu füllen, - sie blieb leer! Der König war sehr enttäuscht bei dem Gedanken, dass er sein Versprechen nicht erfüllen könnte. Da sagte der Derwisch: „Majestät, wenn Sie meine Schale nicht füllen können, so sagen Sie es nur, und ich werde sie wieder mitnehmen. Ich bin ein Derwisch und werde wieder gehen und nur denken, dass Sie Ihr Wort nicht gehalten haben.“
Mit all seinen guten Absichten, seiner Großzügigkeit und seinem Reichtum konnte der Herrscher die Schale nicht füllen. Darum fragte er: „Derwisch, erzähle mir das Geheimnis deiner Schale. Es scheint mir nicht natürlich zu sein.“ Der Derwisch antwortete ihm: „Ja, Majestät, es ist wahr, Sie vermuten richtig. Es ist eine Zauberschale. Es ist die Schale eines jeden Herzens. Es ist das Herz des Menschen, das niemals zufrieden ist. Füllen Sie es, womit Sie wollen, mit Reichtum, mit Aufmerksamkeit, mit Liebe, mit Wissen, mit allem, was es gibt. Es wird niemals gefüllt sein, denn es ist ihm nicht bestimmt, gefüllt zu werden. Weil er dieses Geheimnis des Lebens nicht kennt, verlangt der Mensch stets nach allen Dingen, die er vor sich sieht. Und je mehr er bekommt, desto mehr wünscht er sich, - die Schale seines Verlangens wird niemals gefüllt sein.


Gute Nacht!

Montag, 8. September 2014

Grodek

von Georg Trakl
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

Gute Nacht!

Dienstag, 2. September 2014

Über den Reichtum

von Erasmus von Rotterdam
 

Aber wir wollen nun die Annehmlichkeiten unter die Lupe nehmen, die das Geld verschafft, wie man so glaubt.
Zunächst nimmt nach der einhelligen Meinung der heidnischen Philosophen unter den nützlichen Gütern der Reichtum die letzte Stelle ein, und wenn nach der Einteilung Epiktets außer der Tugend der Seele alles andere außerhalb des Menschen liegt, dann liegt nichts so außer uns als das Geld, und nichts bringt so geringfügigen Vorteil mit sich. Wenn du ganz allein alles Gold und alle Edelsteine besäßest, wäre dadurch dein Charakter auch nur um ein Haar besser, wärst du klüger und gebildeter? Wäre es um deine Gesundheit besser bestellt, würde es dich kräftiger, schöner, jünger machen?
»Aber das Geld verschafft Genüsse.« Gewiß; jedoch solche, die zum Tod führen. »Aber es erwirbt Ehre.« Jedoch was für Ehre? Doch wohl eine solche, die diejenigen fälschlich spenden, die nur Törichtes bewundern und deren Lob fast einem Tadel gleichkommt. Wahre Ehre ist es, von denen gelobt zu werden, die Lob verdienen; höchste Ehre ist es, Christus wohlzugefallen. Wahre Ehre ist nicht eine Auszeichnung für Geld, sondern für die Tugend. Es fällt dir Geld zu, der Pöbel bewundert dich: Du Narr, er bewundert deine Gewänder, nicht dich. Warum steigst du nicht zu dir selbst herab und betrachtest die jämmerliche Armut deiner Seele? Würde der große Haufe sie sehen, er würde dich für so bedauernswert halten, wie er dich nun glücklich preist.
»Aber Geld verschafft Freunde.« Zugegeben. Aber falsche Freunde, und es erwirbt sie nicht dir, sondern ihnen selbst. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist der Reiche am allerunglücklichsten, weil er die Freunde nicht zu erkennen vermag. Der eine haßt ihn in seinem Busen als geizig, der andere beneidet ihn, weil er reicher ist, ein Dritter hat nur sich selbst im Auge, er spendet ihm Beifall und lächelt ihm zu, um von ihm zehren zu können. Wer ihn noch so sehr ins Gesicht liebt, der wünscht ihm doch einen frühzeitigen Tod. Niemand liebt ihn so, daß er ihm tot nicht lieber wäre als lebendig. Niemand ist mit ihm so vertraut, daß er die Wahrheit von ihm zu hören bekäme.
Mag einer einen Reichen auch noch so aufrichtig lieben, dieser muß doch jeden beargwöhnen. Alle muß er für Aasgeier halten, die auf seinen Leichnam lauern, alle für zudringliche Fliegen, die um seine Vorräte herumschwirren. Was immer also das Geld an Vorteilen mit sich zu bringen scheint, das ist übertüncht, schemenhaft und voller Blendwerk.
Zumeist bringt Reichtum wahre Übel und benimmt die wahren Güter. Wenn du Soll und Haben wohl gegeneinander abwägst, dann wirst du finden, daß Reichtum niemals solchen Vorteil bringt, daß er nicht weit größeren Nachteil im Gefolge hätte. Mit welch jämmerlichen Plackereien muß man ihn sich erwerben, unter welchen Gefahren und mit welch großer Unruhe sein Sklave sein, mit welch großem Schmerz verliert man ihn! Aus diesem Grund nennt Christus den Reichtum die Dornen, die jegliche Seelenruhe, das Süßeste, was es für den Menschen gibt, mit tausend Sorgen zerfleischen. Nie wird der Durst nach ihm gestillt, sondern mehr und mehr reizt es ihn an. Unaufhaltsam treibt er in jegliches Verbrechen. Laß dir nicht betrügerisch schmeicheln, indem du sagst: Nichts hindert daran, zugleich reich und fromm zu sein.
Denke daran, was die Wahrheit gesagt hat: Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgeht, als daß ein Reicher in das Himmelreich eingehe.
Durchaus wahr ist auch jener Ausspruch des heiligen Hieronymus: Ein Reicher muß entweder Herr oder Erbe des ungerechten Mammons sein. Beträchtlichen Reichtum erwirbt oder erhält man nie ohne Sünde. Bedenke, daß er dir weit größere Schätze raubt.
Gute Nacht!
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