Sonntag, 19. Januar 2014

Mit was für Rechten er sich der Herrschaft über die Tiere anmaßt

von Michel de Montaigne
Durch eben diese eitle Einbildung macht er¹ sich Gott gleich, legt sich göttliche Eigenschaften bei, sondert sich selbst von dem Haufen der andern Geschöpfe ab, schneidet den Tieren, seinen Mitbrüdern und Gesellen, ihren Teil zu, und gibt ihnen so viel Vermögen und Kräfte, als ihm gutdünkt. Wie, erkennt er denn durch die Stärke seines Verstandes die innerlichen und verborgenen Regungen der Tiere? Aus was für einer Vergleichung zwischen uns und ihnen folgert er dann die Dummheit, die er ihnen beilegt? 
Wer weiß, wenn ich mit meiner Katze spiele, ob sie sich die Zeit nicht mehr mit mir vertreibt als ich mir dieselbe mit ihr vertreibe? Wir treiben wechselsweise miteinander Possen. Gleichwie ich nach Gefallen anfangen oder aufhören kann: so kann sie es auch. 
Plato zählt in seiner Abbildung der güldenen Zeit unter dem Saturn den Umgang der Menschen mit den Tieren, bei welchen sie sich erkundigten, belehren ließen, und jeder Art ihre wahre Eigenschaften und Charakter erfuhren, mit unter die hauptsächlichsten Vorzüge der damaligen Menschen: weil sie auf diese Art eine sehr vollkommene Erkenntnis und Klugheit erlangten, und daher ein ungemein glücklicher Leben führten als wir zu führen im Stande sind. Brauchen wir einen besseren Beweis von der menschlichen Unverschämtheit in Ansehung der Tiere? Dieser große Schriftsteller hat dafür gehalten, dass die Natur meistenteils bei der ihnen erteilten Leibesbildung bloß auf die gewöhnlichen Vorbedeutungen gesehen habe, die man zu seiner Zeit darinnen suchte. Warum liegt der Fehler, welcher den Umgang zwischen uns und ihnen hindert, nicht eben sowohl an uns als an ihnen? 
Es ist noch nicht ausgemacht, an wem der Fehler liegt, dass wir einander nicht verstehen: denn wir verstehen sie eben so wenig als sie uns verstehen. Sie können uns aus eben dem Grunde für unvernünftig halten, aus welchem wir sie dafür halten. Es ist kein großes Wunder, wenn wir sie nicht verstehen. Wir verstehen ja auch die Biscayer und die Troglodyten nicht. Indessen haben sich doch einige sie zu verstehen gerühmt, als Apollonius von Thyana, Melampus, Tiresias, Thales und andere. Und wenn, wie die Erdbeschreiber berichten, gewisse Völker einen Hund zu ihrem Könige machen: so müssen sie doch wohl seine Stimme und seine Bewegungen zu verstehen glauben.

Gute Nacht!


¹der Mensch

Sonntag, 12. Januar 2014

Der Adler und der Uhu

von Johann Wilhelm Ludwig Gleim

König Adler hatt' einmal
Einen Uhu zum Minister:
»Lieber Alter«, fragt' er ihn,
»Welcher Meinung ist Er:
Dulden wir die Nachtigall,
Die nichts kann, als singen?«


»Jeden, welcher sonst nichts kann,
Rath' ich umzubringen!«


Diesem Bluthrath, ausgeführt,
Folgte dumpfes Aechzen,
Und im Lande hörte man
Nur noch Raben krächzen!

Gute Nacht!

Sonntag, 5. Januar 2014

Lisbon revisited

von Fernando Pessoa

Nein: ich will nichts. 
Ich sagte schon: ich will nichts. 

Kommt mir nur nicht mit Schlußfolgerungen! 
Die einzige Schlußfolgerung heißt sterben. 

Verschont mich mit allen Kunstdoktrinen! 
Sprecht mir nicht von Moral! 
Schafft mir die Metaphysik fort! 
Preist mir nicht aufgebaute Systeme, zählt mir nicht die Eroberungen 
der Wissenschaft auf! (der Wissenschaft, o mein Gott, der Wissenschaft!) — 
der Wissenschaft und der Künste und der modernen Zivilisation!

Was tat ich den Göttern allen zu Leide?
 

Wenn sie die Wahrheit besitzen, was kümmert's mich? 

Ich bin ein Techniker, aber ich habe Technik nur in der Technik.
Im übrigen bin ich verrückt und bin es mit vollem Recht. 
Mit vollem Recht, habt ihr verstanden? 

Laßt mich um Himmels Willen in Ruhe!

Gute Nacht!
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