Donnerstag, 28. August 2014

Vernunftreiche Gartenentzückung

von Peter Hacks
Die Kartoffel ist auch eine Blume.
Und mit gelben Federn blüht der Mais.
Und gereicht es nicht dem Dill zu Ruhme,
Wie er zierlich Frucht zu tragen weiß?
Ihr in eurem Prunk und Wohlgeruche,
Stolze Rosen, bleiche Lilien,
Ließet nagen uns am Hungertuche.
Nur was nützet, ist vollkommen schön.
 Gute Nacht!

Sonntag, 24. August 2014

Dummheit

von Curt Goetz

Wenn die Menschheit nur schlecht wäre - sie war es immer -, aber dass sie so dumm geworden ist, ist verdächtig! Sollte das Ende der Welt so nahe sein?
Nach dem Gesetz, dass ein Mittel gegen eine Krankheit immer dann gefunden wird, wenn sie ihren Höhepunkt erreicht hat, wenn sie schier unerträglich geworden ist, nach diesem Gesetz muss heute oder morgen die Mikrobe der menschlichen Dummheit gefunden werden. Wenn es gelingt, ein Serum gegen die Dummheit zu finden, diese entsetzlichste aller ansteckenden Krankheiten, dann wird es im Nu keine Kriege mehr geben und an die Stelle der internationalen Diplomatie wird der gesunde Menschenverstand treten.
Als Trottel dazustehen, wäre heutzutage nicht weiter auffallend. Denn wer in einem gewissen Alter nicht merkt, dass er von Dummköpfen umgeben ist, merkt es aus einem gewissen Grunde nicht.
Es gibt Leute, die so dumm sind, dass sie aus mir nicht klug werden. Zu diesen gehöre ich.

Gute Nacht!

Mittwoch, 20. August 2014

Über die Schwierigkeiten der Umerziehung

von Hans Magnus Enzensberger
Einfach vortrefflich
all diese großen Pläne:
das Goldene Zeitalter
das Reich Gottes auf Erden
das Absterben des Staates.
Durchaus einleuchtend.

Wenn nur die Leute nicht wären!
Immer und überall stören die Leute.
Alles bringen sie durcheinander.

Wenn es um die Befreiung der Menschheit geht
laufen sie zum Friseur.
Statt begeistert hinter der Vorhut herzutrippeln
sagen sie: Jetzt wär ein Bier gut.
Statt um die gerechte Sache
kämpfen sie mit Krampfadern und mit Masern.
Im entscheidenden Augenblick
suchen sie einen Briefkasten oder ein Bett.
Kurz bevor das Millennium anbricht
kochen sie Windeln.

An den Leuten scheitert eben alles.
Mit denen ist kein Staat zu machen.
Ein Sack Flöhe ist nichts dagegen.

Kleinbürgerliches Schwanken!
Konsum-Idioten!
Überreste der Vergangenheit!

Man kann sie doch nicht alle umbringen!
Man kann doch nicht den ganzen Tag auf sie einreden!
Ja wenn die Leute nicht wären
dann sähe die Sache schon anders aus.

Ja wenn die Leute nicht wären
dann gings ruckzuck.
Ja wenn die Leute nicht wären
ja dann!
(Dann möchte auch ich hier nicht weiter stören.)

Gute Nacht!

Freitag, 15. August 2014

Erkenntnis und Schönheit

von Friedrich Nietzsche

[Viele] meinen, die Wirklichkeit sei hässlich: aber daran denken sie nicht, dass die Erkenntnis auch der hässlichsten Wirklichkeit schön ist, ebenso dass, wer oft und viel erkennt, zuletzt sehr ferne davon ist, das große Ganze der Wirklichkeit, deren Entdeckung ihm immer Glück gab, hässlich zu finden.


Gibt es denn etwas »an sich Schönes«? Das Glück der Erkennenden mehrt die Schönheit der Welt und macht alles, was da ist, sonniger; die Erkenntnis legt ihre Schönheit nicht nur um die Dinge, sondern, auf die Dauer, in die Dinge; – möge die zukünftige Menschheit für diesen Satz ihr Zeugnis abgeben!
Inzwischen gedenken wir einer alten Erfahrung: zwei so grundverschiedene Menschen wie Plato und Aristoteles kamen in dem überein, was das höchste Glück ausmache, nicht nur für sie oder für Menschen, sondern an sich, selbst für Götter der letzten Seligkeiten: sie fanden es im Erkennen, in der Tätigkeit eines wohlgeübten findenden und erfindenden Verstandes (nicht etwa in der »Intuition«, wie die deutschen Halb- und Ganztheologen, nicht in der Vision, wie die Mystiker, und ebenfalls nicht im Schaffen, wie alle Praktiker).
Ähnlich urteilten Descartes und Spinoza: wie müssen sie alle die Erkenntnis genossen haben! Und welche Gefahr für ihre Redlichkeit, dadurch zu Lobrednern der Dinge zu werden!
Gute Nacht!

Donnerstag, 7. August 2014

Schwermut

von Friedrich Kirchner

Schwermut heißt diejenige Grundstimmung des Gemütes, in der sich der Mensch durch alles, was er erlebt, gehemmt und niedergedrückt fühlt, und in der alle seine Empfindungen, Gefühle und Stimmungen schmerzlich und trübe ausklingen. Das menschliche Gemüt kann durch den Druck einer starren Vergangenheit oder einer aufregenden Gegenwart beschwert werden. Während der Leichtmütige dabei frisch und frei bleibt, blickt der Schwermütige düster ins Leben; alle Erlebnisse, Erinnerungen und Aussichten werden durch seinen umflorten Blick getrübt. Selbst die Lust wird ihm zur Last. Besonders disponiert dazu das mehr rezeptive, weiche, sinnige Temperament, während das sanguinische und cholerische zum Leichtmut neigt. Aber oft wird auch die Grundstimmung des Menschen durch das Leben geändert: in der Jugend leichtsinnig, wird er durch Enttäuschung, Unglück und Kummer allmählich schwermütig; der Künstler neigt zum Leichtsinn, der Gelehrte zur Schwermut. Leicht verschwebende Schwermut macht interessant und reizt zur Nachahmung, wie das Zeitalter Rousseaus und Werthers beweist. Das Schmerzgefühl hat auch seinen Reiz, was schon Epikur und Ovid erkannten, und der Bach der Schwermut, sagt Young, führt seine Perlen mit sich.
 
Gute Nacht!

Montag, 4. August 2014

Der Rebell

von Charles Baudelaire
Ein Engel stürzt sich wie ein Aar zur Erde
Und rauft des Glaubenslosen Haar voll Grimm:
»Ich will, dass dem Gesetz Gehorsam werde!
Dein guter Engel bin ich, drum vernimm:

Du sollst sie lieben ohne Widerstreiten,
Die arm und schlecht sind, blöd und kranken Bluts,
Damit du vor dem Herrn dereinst kannst breiten
Prunkvoll den Teppich deines Edelmuts.

Denn das ist Liebe! Sorg' eh' sie entschwindet,
Dass stets dein Herz in Gott Verzückung findet,
Das ist der ewigen Wollust Sinn und Sein!«

Der Engel wahrlich züchtigt, den er liebt,
An dem Verdammten seine Faust er übt;
Doch immer sagt der Gottverfluchte: »Nein!«
Gute Nacht!
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