Donnerstag, 23. Februar 2017

Alchemie der Leidenschaften

von Honoré de Balzac

Das Glück besteht entweder aus starken Erregungszuständen, die das Leben abnutzen oder aus regelmäßigen Betätigungen, die das Leben in einen Mechanismus verwandeln, der präzise arbeitet wie ein Uhrwerk. Jenseits dieses Glückes gibt es nur noch eine Neugier, die man als edel bezeichnet und die darauf ausgeht, die Geheimnisse der Natur zu erforschen, um künstliche Surrogate ihrer Elemente und Werke zu finden und zu erfinden. Ist das nicht in zwei Worten das Wesen der Kunst und Wissenschaft? Die Erklärung von Leidenschaft und Ruhe.
Es gibt zartbesaitete Seelen, die nicht wissen, wie man den Kummer ertötet und die daher stets vom Kummer ertötet werden. Das Leben ist eine Arbeit, ein Beruf, den zu erlernen man sich bemühen muss. Wenn ein Mensch dadurch, dass er Schmerz und Leid auskosten musste, das Leben kennengelernt hat, dann wird seine Veranlagung kräftiger und widerstandsfähiger und sie erwirbt sich einen gewissen Grad von Geschmeidigkeit, die sie in die Lage versetzt, das Maß der Empfindsamkeit zu regeln. Ein solcher macht aus seinen Nerven eine Art stählerne Federn, die sich biegen können, ohne zu brechen.
Die Liebe und der Hass sind Gefühle, welche sich aus sich selbst nähren. Aber von den beiden ist der Hass der langwierigere, die Liebe hat bestimmte Grenzen ihrer Kraft. Sie nimmt ihre Macht vom Leben und von der Verschwendung, während der Hass mehr an den Tod erinnert und an den Geiz. Er ist gewissermaßen eine tätige Abstraktion, unabhängig von dem Wesen und den Dingen. Die Wollust eines befriedigten Hasses ist die glühendste von allen und die glühendste und stärkste des Herzens. Die Liebe ist gewissermaßen das Gold, der Hass das Eisen jenes Bergwerks des Gefühls, das in uns wohnt.
Oft ergibt sich zwischen zwei Feinden die gleiche durchsichtige Schärfe der Vernunft, die gleiche Kraft intellektuellen Blickes wie zwischen zwei Geliebten, die einer in der Seele des anderen lesen können.


Gute Nacht!

Samstag, 18. Februar 2017

Der Mensch

von Friedrich von Hagedorn
Ein Kind sucht Kindern oft den Apfel abzustreiten,
Weil schon die Kinder Menschen sind:
Auch der erwachsne Mensch ficht oft um Kleinigkeiten,
Ist trostlos im Verlust, und prahlt, wann er gewinnt.
Warum? Der Mensch bleibt noch ein Kind.

Gute Nacht!

Freitag, 10. Februar 2017

Selbstdenken

von Arthur Schopenhauer

Wie die zahlreichste Bibliothek, wenn ungeordnet, nicht so viel Nutzen schafft, als eine sehr mäßige, aber wohlgeordnete; eben so ist die größte Menge von Kenntnissen, wenn nicht eigenes Denken sie durchgearbeitet hat, viel weniger wert, als eine weit geringere, die aber vielfältig durchdacht worden. Denn erst durch das allseitige Kombinieren dessen, was man weiß, durch das Vergleichen jeder Wahrheit mit jeder andern, eignet man sein eigenes Wissen sich vollständig an und bekommt es in seine Gewalt. Durchdenken kann man nur, was man weiß; daher man etwas lernen soll: aber man weiß auch nur, was man durchdacht hat.
Nun aber kann man sich zwar willkürlich applizieren auf Lesen und Lernen; auf das Denken hingegen eigentlich nicht. Dieses nämlich muß, wie das Feuer durch einen Luftzug, angefacht und unterhalten werden durch irgend ein Interesse am Gegenstande desselben; welches entweder ein rein objektives, oder aber bloß ein subjektives sein mag. Das letztere ist allein bei unsern persönlichen Angelegenheiten vorhanden; das erstere aber nur für die von Natur denkenden Köpfe, denen das Denken so natürlich ist, wie das Atmen, welche aber sehr selten sind.


Gute Nacht!

Donnerstag, 2. Februar 2017

Der Februar

von Erich Kästner
Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht
bleibt ja doch nur eins: die Zeit.

Pünktlich holt sie aus der Truhe
falschen Bart und goldnen Kram.
Pünktlich sperrt sie in die Truhe
Sorgenkleid und falsche Scham.

In Brokat und seidnen Resten,
eine Maske vorm Gesicht,
kommt sie dann zu unsren Festen.
Wir erkennen sie nur nicht.

Bei Trompeten und Gitarren
drehn wir uns im Labyrinth
und sind aufgeputzte Narren
um zu scheinen, was wir sind.

Unsre Orden sind Attrappe.
Bunter Schnee ist aus Papier.
Unsre Nasen sind aus Pappe.
Und aus welchem Stoff sind wir?

Bleich, als sähe er Gespenster,
mustert uns Prinz Karneval.
Aschermittwoch starrt durchs Fenster.
Und die Zeit verläßt den Saal.

Pünktlich legt sie in die Truhe
das Vorüber und Vorbei.
Pünktlich holt sie aus der Truhe
Sorgenkleid und Einerlei.

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht,
bleibt uns doch nur eins: die Zeit.

Gute Nacht!
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