von Joachim Ringelnatz
Von weit her Hundebellen
Klingt durch die nächtliche Ruh.
Es spülen die schwarzen Wellen
Mein Boot dem Ufer zu.
Die blauen Berge der Ferne
Winken am Himmelssaum.
Auf in den Lichtbann der Sterne
Trägt mich ein Traum.
Stumm ziehen wilde Schwäne
Über das Wasser hin.
Mir kommt eine müde Träne.
Ich weiß nicht, warum ich so bin.
Gute Nacht!
von Franz Kafka
Wenn man sich am Abend endgültig entschlossen zu haben scheint, zu Hause zu bleiben, den Hausrock angezogen hat, nach dem Nachtmahl beim beleuchteten Tische sitzt und jene Arbeit oder jenes Spiel vorgenommen hat, nach dessen Beendigung man gewohnheitsgemäß schlafen geht, wenn draußen ein unfreundliches Wetter ist, welches das Zuhausebleiben selbstverständlich macht, wenn man jetzt auch schon so lange bei Tisch stillgehalten hat, dass das Weggehen allgemeines Erstaunen hervorrufen müsste, wenn nun auch schon das Treppenhaus dunkel und das Haustor gesperrt ist, und wenn man nun trotz alledem in einem plötzlichen Unbehagen aufsteht, den Rock wechselt, sofort straßenmäßig angezogen erscheint, weggehen zu müssen erklärt, es nach kurzem Abschied auch tut, je nach der Schnelligkeit, mit der man die Wohnungstür zuschlägt, mehr oder weniger Ärger zu hinterlassen glaubt, wenn man sich auf der Gasse wiederfindet, mit Gliedern, die diese schon unerwartete Freiheit, die man ihnen verschafft hat, mit besonderer Beweglichkeit beantworten, wenn man durch diesen einen Entschluss alle Entschlussfähigkeit in sich gesammelt fühlt, wenn man mit größerer als der gewöhnlichen Bedeutung erkennt, dass man ja mehr Kraft als Bedürfnis hat, die schnellste Veränderung leicht zu bewirken und zu ertragen, und wenn man so die langen Gassen hinläuft, — dann ist man für diesen Abend gänzlich aus seiner Familie ausgetreten, die ins Wesenlose abschwenkt, während man selbst, ganz fest, schwarz vor Umrissenheit, hinten die Schenkel schlagend, sich zu seiner wahren Gestalt erhebt. Verstärkt wird alles noch, wenn man zu dieser späten Abendzeit einen Freund aufsucht, um nachzusehen, wie es ihm geht.
Gute Nacht!
von Mascha Kaléko
Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,
Scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,
Wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.
Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,
Mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.
So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens
An uns vorbei zu einem andern Stern
Und ist im Nahekommen uns schon fern.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens
Und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.
Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug
Zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.
Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen.
Gute Nacht!
von Arthur Schnitzler
Niemals ist um irgendeine Idee Krieg geführt worden, es hat sich nie um
etwas Anderes als um Machtkämpfe gehandelt, doch waren die Ideen als
Vorwände, geglaubte oder ungeglaubte, niemals zu entbehren. Es ist eine
historische Fälschung, dass der dreißgjährige Krieg ein Religionskrieg
war. Beweis dagegen, dass schon wenige Jahre nach Beginn Protestanten im
Heere des Kaisers und Katholiken bei seinen Gegnern kämpften. Und in
der zweiten Hälfte war das prozentuelle Verhältnis geradezu verschoben.
Es
lässt sich nicht nur beweisen, dass die Ideen, um die Kriege geführt
wurden, den Völkern oder den Heeren vorgespiegelt wurden, es lässt sich
sogar beweisen, dass die Entfessler selbst entweder nicht an die Idee
geglaubt haben, für die sie angeblich kämpften, oder dass sie Monomanen
waren.
Hier spielt natürlich die insbesonders bei Politikern zu hoher
Vollendung ausgebildete Kunst , die eigene Seele gebietsweise
freiwillig ins Dunkel zu versetzen, eine große Rolle.
Man sagt,
er ist den schönen Heldentod gestorben. Warum sagt man nie, er hat eine
herrliche Heldenverstümmelung erlitten? Man sagt, er ist für das
Vaterland gefallen. Warum sagt man nie, er hat sich für das Vaterland
beide Beine amputieren lassen?
Das Wörterbuch des Krieges ist von den
Diplomaten, den Militärs und den Machthabern gemacht. Es sollte von
denen richtiggestellt werden, die aus dem Krieg heimgekehrt sind, von
den Witwen, den Waisen, den Ärzten und den Dichtern.
So lange der
Krieg als eine Möglichkeit überhaupt in Betracht kommt, also, so lange
es Berufszweige gibt, die auf die Möglichkeit eines Krieges gestellt
sind, ferner, so lange es auch nur einen Menschen gibt, der durch den
Krieg seinen Reichtum vergrößern oder solchen erwerben kann und der zu
gleicher Zeit die Macht hat oder den Einfluss, einen Krieg
herbeizuführen, genau so lange wird es Kriege geben. Und hier ist die
Frage des Weltfriedens anzupacken, nirgends anders.
Weder in
religiösen noch in philosophischen, noch in ethischen Motiven. Diese
spielen absolut keine Rolle. Weder die Vernunft, noch das Mitleid, noch
die Ehre dürfen wir mit der geringsten Aussicht auf Erfolg anrufen. Es
handelt sich ausschließlich darum, die Ordnung der Welt so
umzugestalten, dass kein Mensch, auch nicht ein einziger, weder in
Freundes- noch in Feindesland, die geringste Aussicht hat, seine
persönlichen Verhältnisse durch einen Krieg zu verbessern. Unmöglich? So
lange das unmöglich ist, hat die Friedensbewegung nicht die
entfernteste Aussicht auf Erfolg. Mit Tiefsinn und Sentimentalitäten
werdet ihr weder die Herzen der Diplomaten, noch die der Attaches, noch
die der Generäle, noch die der Heereslieferanten rühren.
Gute Nacht!