Sonntag, 16. Juni 2013

Über die Ehe

von George Bernard Shaw

Die Mehrheit der Ehepaare lernt einander niemals wirklich kennen; sie gewöhnt sich nur daran, dasselbe Haus, dieselben Kinder und dasselbe Einkommen zu haben, und das ist etwas ganz anderes.
Wenn alle Eheleute wirklich zusammen lebten, würde unzweifelhaft die bloße Gewalt der Tatsache diesem unmenschlichen Unsinn innerhalb eines Monats, wenn nicht eher, ein Ende machen. Aber sie werden dieser Prüfung sehr selten unterzogen. Der typische Ehemann sieht seine Frau viel seltener als seinen Geschäftspartner, seinen Mitbeamten oder seinen täglichen Arbeitsgenossen. Mann und Frau leben in der Regel nicht zusammen. Sie essen lediglich morgens und abends zusammen und schlafen im selben Zimmer. In den meisten Fällen weiß die Frau nichts vom Arbeitsleben des Mannes, und er weiß nichts von ihrem Arbeitsleben (er nennt es: ihr häusliches Leben). Es ist auffallend, daß eben diejenigen Leute, welche von der Geschlossenheit und Heiligkeit der Ehe die absurdeste und romantischste Auffassung haben, andererseits am tiefsten überzeugt sind, daß der Bereich des Mannes und der Bereich der Frau gänzlich getrennt bleiben müssen und die Eheleute nur in den Augenblicken ihrer Muße zusammen sein dürfen.
Ich kenne eine Frau, die fünfmal verheiratet war. Sie ist, wie zu erwarten war, eine weise, anziehende und interessante Frau. Die Frage ist nur: ist sie weise, anziehend und interessant, weil sie fünfmal verheiratet war, oder war sie fünfmal verheiratet, weil sie weise, anziehend und interessant ist?


Gute Nacht!

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