Mittwoch, 22. Juni 2016

Zur Teleologie

von Heinrich Heine
Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben.
Wollte nicht, daß an der Scholle
Unsre Menschheit kleben solle;
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
Gnügte uns ein einzges Bein.

Augen gab uns Gott ein Paar,
Daß wir schauen rein und klar;
Um zu glauben, was wir lesen.
Wär ein Auge gnug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide.
Daß wir schauen und begaffen,
Wie er hübsch die Welt erschaffen
Zu des Menschen Augenweide;
Doch beim Gaffen in den Gassen
Sollen wir die Augen brauchen
Und uns dort nicht treten lassen
Auf die armen Hühneraugen,
Die uns ganz besonders plagen,
Wenn wir enge Stiefel tragen.

Gott versah uns mit zwei Händen,
Daß wir doppelt Gutes spenden;
Nicht um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen
In den großen Eisentruhn,
Wie gewisse Leute tun –
(Ihren Namen auszusprechen.
Dürfen wir uns nicht erfrechen –
Hängen würden wir sie gern.
Doch sie sind so große Herrn,

Philanthropen, Ehrenmänner,
Manche sind auch unsre Gönner,
Und man macht aus deutschen Eichen
Keine Galgen für die Reichen.)

Gott gab uns nur eine Nase,
Weil wir zwei in einem Glase
Nicht hineinzubringen wüßten
Und den Wein verschlappern müßten.

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zuviel der Erdensohn.
Wenn er doppeltmäulig wär,
Fräß und log er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

Mit zwei Ohren hat versehn
Uns der Herr. Vorzüglich schön
Ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
So er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
Um von Mozart, Gluck und Haydn
Meisterstücke anzuhören –
Gäb es nur Tonkunst-Kolik
Und Hämorrhoidal-Musik
Von dem großen Meyerbeer,
Schon ein Ohr hinlänglich wär! –

Als zur blonden Teutelinde
Ich in solcher Weise sprach,
Seufzte sie und sagt«: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
Kritisieren unsern Schöpfer,
Ach! das ist, als ob der Topf
Klüger sein wollt als der Töpfer!
Doch der Mensch fragt stets: Warum?
Wenn er sieht, daß etwas dumm.

Freund, ich hab dir zugehört,
Und du hast mir gut erklärt,
Wie zum weisesten Behuf
Gott dem Menschen zwiefach schuf
Augen, Ohren, Arm und Bein,
Während er ihm gab nur ein Exemplar von Nas und Mund –
Doch nun sage mir den Grund:
Gott, der Schöpfer der Natur,
Warum schuf er einfach nur
Das skabröse Requisit,
Das der Mann gebraucht, damit
Er fortpflanze seine Rasse
Und zugleich sein Wasser lasse?
Teurer Freund, ein Duplikat
Wäre wahrlich hier vonnöten,
Um Funktionen zu vertreten,
Die so wichtig für den Staat
Wie fürs Individuum,
Kurz fürs ganze Publikum.
Eine Jungfrau von Gemüt
Muß sich schämen, wenn sie sieht.
Wie ihr höchstes Ideal
Wird entweiht so trivial!
Wie der Hochaltar der Minne
Wird zur ganz gemeinen Rinne!
Psyche schaudert, denn der kleine
Gott Amur der Finsternis,
Er verwandelt sich beim Scheine
Ihrer Lamp – in Mankepiß.

Also Teutelinde sprach,
Und ich sagte ihr: Gemach!
Unklug wie die Weiber sind,
Du verstehst nicht, liebes Kind,
Zwei Funktionen, die so greulich
Und so schimpflich und abscheulich
Miteinander kontrastieren
Und die Menschheit sehr blamieren.
Gottes Nützlichkeitssystem,
Sein Ökonomieproblem
Ist, daß wechselnd die Maschinen
Jeglichem Bedürfnis dienen,
Den profanen wie den heilgen,
Den pikanten wie langweilgen, –
Alles wird simplifiziert;
Klug ist alles kombiniert:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er seinesgleichen.
Auf demselben Dudelsack
Spielt dasselbe Lumpenpack.
Feine Pfote, derbe Patsche,
Fiddelt auf derselben Bratsche,
Orgelt auf demselben Leder,
Springt und singt und gähnt ein jeder,
Und derselbe Omnibus
Führt uns nach dem Tartarus.

Gute Nacht!

Dienstag, 14. Juni 2016

Kinder auf Reisen

von Jean Paul

Über lange Kinderreisen wünscht' ich ein Wort zu sagen. Kurze von einigen Wochen hält man mit Recht für ein Geist und Leib reifendes Versetzen dieser zarten Bäumchen, weil der Tausch der alten düstern Ecken-Enge gegen die luftige Landschaft von Menschen- und Sitten-Wechsel erheitern und befruchten muß. Etwas anderes aber sind Kinderreisen mit Städte-Hausierern und Länderrennern, wenn kleine Wesen die große Tour (durch die Stadt ist schon eine für sie) durch halb Europa machen, auf welcher das jeden Tag versetzte Bäumchen sich übertreibt und erschöpft. Wenn schon Erwachsene von ihrem Länder-Umsegeln gefüllte Köpfe und geleerte Herzen mitbringen, weil das tägliche Laufen durch Kompagnie-Gassen von Menschen mit Spießruten oder doch ohne Bruderküsse zuletzt so erkälten muß, wie das Hofleben tut, worin, wie in einem englischen Tanze, der Tänzer die Kolonne auf- und niederspringt und seine Hand kalt einer jeden gibt: wie muß erst langes Reisen – dem Erwachsenen nur Herbstreif – als Frühlingreif das Kind verwüsten! Langes Zusammenleben mit verbundnen Menschen entwickelt in diesem die Liebewärme; das Einerlei der Menschen, Häuser, Kindheitplätze, ja der Gerätschaften hängt sich geliebt an das Kind und verstärkt, wie eine magnetisch gehaltene Last, das magnetische Anziehen; und so wird in dieser Frühzeit der reiche Magnetbruch künftigen Liebens aufgetan, weil das Kind beinahe alles liebgewinnt, was es täglich sieht – im Dorfe eine leichte Sache –, den Holzhacker der Eltern, die Botenfrau, den alten Peter, der jeden Sonnabend um einen Sonntag bettelt, ja sogar ferne, stundenweit entlegne Honoratiores von Bekanntschaft. Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten. – Nun soll aber statt dergleichen ein Kind auf Reisen gehen – z. B. etwa durch halb Europa – und soll, da man dessen Wohn-Marktflecken samt Einwohnern nicht hinter dem Wagen aufpacken, noch in den Gastzimmern der großen Städte abpacken kann, jeden Tag auf neue Menschen, Stuben, Kellner, Gäste stoßen, an welchen allen das junge Herz aus Zeitmangel nicht zum reifen Ausbruche der Teilnahme kommen kann: – was kann dann aus dem kleinen Wesen werden? Ein Hofmännchen oder Hofweibchen ohne Hof, kühl, hell, fein, matt, satt, süß und schön.


Gute Nacht!

Montag, 6. Juni 2016

Empfindung

von Arthur Rimbaud
In blauer Sommernacht werd` ich durch Felder geh`n,
Hälmchen zertreten auf den kühlen Pfaden
Und träumerisch ein Prickeln spüren an den Zeh`n.
Ich werde meinen bloßen Kopf im Winde baden.


Ich werde dann nicht sprechen, werde an nichts denken:
Doch wird die Liebe meine Seele ganz durchtränken;
Und ich werd` geh`n, wie ein Zigeuner, fort durchs Blau,
Durch die Natur, - so glücklich wie mit einer Frau.

Gute Nacht!
Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Gesamtzahl der Seitenaufrufe