Sonntag, 30. Juni 2019

Wisst es!

von Ada Christen
Wisst, mich betrübt die Schönheit, die ihr preist,
Ich schaue bitteres Menschenelend sprießen
Auf diesem Stern... wie soll mein Geist
Dann seine hehre Schönheit rein genießen?

Wisst, mich betrübt die Schönheit, die ihr preist,
Denn durch des Wohllauts kunstgeformter Schöne
Klingt mir der Wehlaut, der mein Herz zerreißt,
Der Daseinsqual naturgewalt'ge Töne.
Gute Nacht!

Sonntag, 23. Juni 2019

Ermunterung zum Selberdenken

von Arthur Schopenhauer

Sind wir nun also vollkommen bekannt mit unseren Stärken und Schwächen; so werden wir auch nicht versuchen, Kräfte zu zeigen, die wir nicht haben, werden nicht mit falscher Münze spielen, weil solche Spiegelfechterei doch endlich ihr Ziel verfehlt. Denn da der ganze Mensch nur die Erscheinung seines Willens ist; so kann nichts verkehrter sein, als, von der Reflexion ausgehend, etwas Anderes sein zu wollen, als man ist: denn es ist ein unmittelbarer Widerspruch des Willens mit sich selbst. Nachahmung fremder Eigenschaften und Eigentümlichkeiten ist viel schimpflicher als das Tragen fremder Kleider: denn es ist das Urteil der eigenen Wertlosigkeit von sich selbst ausgesprochen. Kenntnis seiner eigenen Gesinnung und seiner Fähigkeiten jeder Art und ihrer unabänderlichen Grenzen ist in dieser Hinsicht der sicherste Weg, um zur möglichsten Zufriedenheit mit sich selbst zu gelangen.


Gute Nacht!

Sonntag, 16. Juni 2019

Pantoffel

von Hugo Salus
Ich schlafe heut allein: sie ist verreist;
Sie fuhr zu meinen Eltern, die sie lieben
Fast mehr als ihren Sohn. Ich bin verwaist,
Allein in unserm Nest zurückgeblieben.

Nun sitzen sie daheim beim Lampenlicht
Und lächeln mild zu ihren krausen Scherzen
Und lachen, wenn sie ernste Dinge spricht,
Und denken mein im froh bewegten Herzen.

Ich lösch' das Licht und träume vor mich hin.
Ich rühre leis ihr Kissen "Schlaf in Frieden!
Ich weiß, daß ich in deinen Träumen bin,
Und denk', auch mir wird heut ein Traum beschieden".

Da klappert's durch's Gemach, da trippelt was!
Pantoffelklappern! Flink, wie um die Wette.
Ich träume nicht, doch wie begreif ich das?
Und trappt und klappert her zu meinem Bette.

Rasch aus dem Bett! Still wird's beim Schein des Lichts.
Ich suche nach, wo sich der Spuk verstecke.
Da stehn ganz still, als wüßten sie von nichts,
Die Hausschuh meiner Frau in ihrer Ecke.

Duckmäuser ihr! Habt wohl Befehl von ihr?
Zwingt euch verliebte Sehnsucht, euch zu regen?
Ich schaff mir Ruh! Ich nehme euch zu mir,
Ich will euch unter meinen Polster legen,

Wie ich als Kind, wenn mich ein Buch entzückt,
Es unterm Kissen über Nacht geborgen,
Gewiß, daß mir der Traum den Helden schickt,
Und er mir nah verbleibe bis zum Morgen ...
Gute Nacht!

Montag, 3. Juni 2019

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

von George Bernard Shaw

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber er kann nicht leben ohne Brot. Also muss das Brot erst einmal da sein, auch wenn die Dinge, die danach folgen, höhere Dinge sein mögen.
Wir müssen dem Mammon eifrig und wohlüberlegt dienen, ehe wir Gott dienen können. Die Richtigkeit dieser These mag jeder selbst nachprüfen, er soll nur einmal versuchen, seine Mahlzeiten durch Gebete zu ersetzen. Genauso wie die Kirche davon ausgehen muss, dass alle Seelen gleich wertvoll sind und wir konsequenterweise vor Gott alle gleich sind, oder aber die Religion würde sich selbst ad absurdum führen, genau so wird man auch lernen, von der praktischen und unvermeidlichen Notwendigkeit auszugehen, dass jedermanns Bedürfnis nach Geld gleich ist, andernfalls aber zur Strafe eine zerrissene Gesellschaft, wie wir sie heute haben, erwarten müssen.
Ehrlichkeit ist nicht ein subjektiver Eindruck, sondern eine Bedingung gesellschaftlichen Lebens, die exakt definiert werden kann. Sie bedeutet, dass, wenn jemand eine Stunde für einen anderen gearbeitet hat, dieser andere nicht weniger als eine Stunde für ihn arbeiten muss.
Alle, die es im Leben zu etwas wirklich Besonderem bringen, beginnen als Revolutionäre. Die besten unter ihnen werden mit wachsendem Alter immer revolutionärer, obwohl man von ihnen allgemein annimmt, dass sie konservativer werden, weil sie das Vertrauen in die herkömmlichen Methoden der Reform verlieren. Jeder Mensch unter 30, der überhaupt etwas über die bestehende soziale Ordnung weiß und nicht Revolutionär ist, ist nur Mittelmaß.


Gute Nacht!
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