Freitag, 28. Februar 2014

Das Glück der Stille

von Matthias Claudius 

Mir wird allemal wohl, wenn ich einen Menschen finde, der dem Lärm und dem Geräusch immer so aus dem Wege geht, und gerne allein ist. Der, denke ich denn, hat wohl ein gutes Gewissen; er läßt die schnöden Linsengerichte stehen, und geht vorüber, um bei sich einzukehren, wo er beßre Kost hat, und seinen Tisch immer gedeckt findet.

Wehe den Menschen, die nach Zerstreuung haschen müssen, um sich einigermaßen aufrecht zu erhalten!

Doch wehe siebenmal den Unglücklichen, die Zerstreuung und Geschäftigkeit suchen müssen, um sich selbst aus dem Wege zu gehen! Sie fürchten, allein zu sein; denn in der Einsamkeit und Stille rührt sich der Wurm, der nicht stirbt, wie sich die Tiere des Waldes in der Nacht rühren, und auf Raub ausgehen.

Aber selig ist der Mensch, der mit sich selbst in Friede ist, und unter allen Umständen frei und unerschrocken auf und um sich sehen kann! Es gibt auf Erden kein größer Glück.

Gute Nacht!

Montag, 24. Februar 2014

Oh Captain, mein Captain

von Walt Whitman
Oh Captain, mein Captain,
die schwere Fahrt ist aus
das Schiff hat jedem Sturm getrotzt
nun kehren wir stolz nach Haus
der Hafen grüßt mit Glockenschall
und tausend Freudenschreien
vor aller Augen rauschen wir auf sicherem Kiel herein
aber Herz ach Herz ach Tropfen blutig rot
wo auf dem Deck mein Captain liegt
gefallen, kalt und tot.


Oh Captain, mein Captain
steh auf und hör den Schall
steh auf, Dir gilt der Flaggengruß
dir gilt das Jauchzen all
die Sträuße dir, die Kränze dir
und weit entlang am Strand
das Menschenmeer, das Gesichtermeer,
dir freudig zugewandt
hier Captain, liebster Vater,
hier ist mein Arm als Halt
es ist nur Traum, dass du hier liegst,
gefallen tot und kalt.


Mein Captain gibt nicht Antwort,
seine Lippen sind bleich und still,
mein Vater fühlt nicht meinen Arm,
hat nicht mehr Kraft noch Will.
das Schiff liegt heil vor Anker nun,
die Reise ist nun aus.
von schwerer Fahrt, das Siegerschiff
kam vom Triumph nach Haus
jauchzet ihr Gestade, Glocken dröhnt
ich aber knie in Not,
wo auf dem Deck mein Captain liegt,
gefallen, kalt und tot.

Gute Nacht!

Montag, 10. Februar 2014

Von der Schwäche des Menschen

von Blaise Pascal
 

Wir halten uns nie an die Gegenwart. Wir rufen uns die Vergangenheit zurück; wir greifen der Zukunft vor, als käme sie zu langsam und als wollten wir ihr Eintreten beschleunigen, oder wir rufen uns die Vergangenheit zurück, als wollten wir sie festhalten, da sie zu schnell vorübereilte, wir sind so unklug, dass wir in Zeiten umherirren, die nicht die unsrigen sind, und nicht an die einzige denken, die uns gehört, und wir sind so eitel, dass wir an jene denken, die nichts sind, und uns unüberlegt der einzigen entziehen, die weiterbesteht. Das kommt daher, weil die Gegenwart uns meistens weh tut. Wir verbergen sie unserem Blick, weil sie uns betrübt, und wenn sie uns angenehm ist, bedauern wir, sie entschwinden zu sehen. Wir bemühen uns, sie durch die Zukunft abzusichern, und meinen die Dinge zu ordnen, die nicht in unserer Macht stehen, und das für eine Zeit, die zu erreichen für uns ganz ungewiss ist.
Jeder prüfe seine Gedanken. Er wird finden, dass sie ganz mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt sind. Wir denken fast überhaupt nicht an die Gegenwart, und wenn wir an sie denken, so nur, um aus ihr die Einsicht zu gewinnen, mit der wir über die Zukunft verfügen wollen. Die Gegenwart ist niemals unser Ziel.
Die Vergangenheit und die Gegenwart sind unsere Mittel; allein die Zukunft ist unser Ziel. Deshalb leben wir nie, sondern hoffen auf das Leben, und da wir uns ständig bereit halten, glücklich zu werden, ist es unausbleiblich, dass wir es niemals sind, wenn wir nicht eine andere Glückseligkeit ersehnen als die, die uns im Leben erfreuen kann.
Unsere Einbildung vergrößert den Augenblick durch ständig darüber angestellte Betrachtungen so sehr und verkleinert die Ewigkeit aus mangelnder Betrachtung derart, dass wir aus der Ewigkeit ein Nichts und aus dem Nichts eine Ewigkeit machen; und all das hat so kräftige Wurzeln in uns, dass all unsere Vernunft uns nicht dagegen verteidigen kann.


Gute Nacht!

Samstag, 1. Februar 2014

Was ein Kind braucht

von Peter Maiwald

Wenn ein Kind geboren ist,
braucht es eine Wohnung,
Kleider, eine Spielzeugkist,
Bonbons als Belohnung,
Murmeln und ein eigenes Bett,
einen Kindergarten, Bücher
und ein Schaukelbrett,
Tiere aller Arten,
Wälder, Wiesen, eine Stadt,
Sommer, Regen, Winter,
Flieger, Schiffe und ein Rad,
viele andre Kinder,
einen Mann, der Arbeit hat,
eine kluge Mutter,
Länder, wo es Frieden hat
und auch Brot und Butter.
Wenn ein Kind nichts davon hat,
kann's nicht menschlich werden.
Daß ein Kind das alles hat,
sind wir auf der Erden.

Gute Nacht!
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