Freitag, 25. Juli 2014

Der Vater und der Sohn

von Johann Peter Hebel
Der Vater stellte ein Gläslein voll Arznei in die Schublade, weil er glaubte, es sei nirgends besser verwahrt. Als aber der Sohn nach Hause kam und die Schublade schnell aufziehn wollte, fiel das Gläslein um und zerbrach. Da gab ihm der Vater eine zornige Ohrfeige und sagte: "Kannst du nicht zuerst schauen, was in der Tischlade ist, eh' du sie auftust?" Der Sohn erwiderte zwar: Nein, das könne niemand. Aber der Vater sagte: "Den Augenblick sei still, oder du bekommst noch eine."
Merke: Man ist nie geneigter Unrecht zu tun, als wenn man Unrecht hat. Recht ist gut beweisen. Aber für das Unrecht braucht man schon Ohrfeigen und Drohungen zum Beweistum.


Gute Nacht!

Sonntag, 20. Juli 2014

Das höchste Gut

von Boethius

Einige, die es für das höchste Glück halten, an nichts Mangel zu haben, setzen ihre Mühen daran, in Reichtum zu schwimmen; andere erkennen als das Gute dasjenige, was der Verehrung am würdigsten ist; so streben sie danach, Auszeichnungen zu erlangen und bei ihren Mitbürgern in, höchster Achtung zu stehen.
Manche setzen das höchste Gut in die höchste Macht; sie versuchen, selbst zu herrschen oder sich an die Herrscher zu drängen. Diejenigen wiederum, denen Berühmtheit als das Beste erscheint, eifern danach, mit den Künsten des Krieges oder des Friedens die Herrlichkeit ihres Namens auszubreiten. Weitaus die meisten messen die Frucht des Guten ab nach Freude und Heiterkeit; sie halten es für das Allerglücklichste, in Vergnügungen zu zerfließen. Manche vertauschen auch die einzelnen Zwecke und Ursachen miteinander: sie ersehnen dann Reichtum um der Macht und Lust willen, oder Macht um des Geldes oder der Verbreitung ihres Namens willen. Um diese und ähnliche Absichten kreisen alle menschlichen Handlungen und Wünsche, wie denn Adel und Volksgunst eine Art Glanz zu verleihen scheinen, wie man Weib und Kind um der Lieblichkeit willen sucht; Freundschaft aber, die lauterste Art, ist nicht zum Glück, sondern zur Tugend zu zählen. Alles übrige aber eignet man sich um der Macht oder um des Ergötzens willen an. Daß auch die Güter des Körpers zu den oben genannten zu rechnen sind, liegt auf der Hand. Denn Stärke und Größe scheinen Tüchtigkeit zu verleihen, Schönheit und Behendigkeit Ansehen, Gesundheit Vergnügen zu gewähren; es ist klar, daß in allem diesem nur die Glückseligkeit gewünscht wird; denn was jemand vor allem andern erstrebt, das hält er für das höchste Gut. Aber wir haben als höchstes Gut die Glückseligkeit bestimmt, also hält jeder den Zustand für glückselig, den er vor andern erstrebt.


Gute Nacht!

Montag, 14. Juli 2014

Feier

von Pablo Neruda
Ziehen wir also die Schuhe an,
das gestreifte Hemd, den blauen Anzug,
wenn auch die Ellbogen schon glänzen,
ziehen wir ein Feuerwerk ab mit bengalischem Licht
und in Strömen lasst ziehen Wein und Bier
von der Kehle zur Sohle hinunter!

Denn gebührend soll sie gefeiert sein die gewaltige Zahl,
die uns so viel Zeit gekostet hat,
so viele Jahre und Tage zu Bündeln gepackt,
so viel Stunden, so viel Millionen von Minuten,
feiern wir also den großen Eröffnungstag!

Lasst die Pfropfen knallen,
dass wir uns eingießen all die aufgesparten Freuden.
Schnappen wir uns eine hergelaufene, lockere Braut,
die einen festlichen Biss sich gefallen lässt.

Heut ist es soweit, heut ist es da.
Wir betreten den Teppich des unbekannten Jahrtausends.
Das Herz, der Mandelkern der steigenden Epoche,
die ausgereifte Traube wird uns zu eigen sein.
Und es wird die Wahrheit sein,
die langerwartete Wahrheit!

Indessen wächst ein Blatt im Laub der beginnenden Zeit hinzu,
Zweig um Zweig verkreuzt sich das Gezweig,
Blatt um Blatt werden die Tage steigen
und Frucht um Frucht wird der Friede kommen.
Der Baum des Glückes bildet sich aus der blutroten trotzigen Wurzel,
die weiterlebt, weil sie das Wasser sucht,
die Wahrheit, das Leben!

Gute Nacht!

Samstag, 5. Juli 2014

Der Philosoph oder Über das Wesen der Dinge

 von Victor Auburtin

Der Philosoph saß in seinem Studierzimmer und wollte über das Wesen der Dinge nachsinnen. Aber sein weißes Kätzchen sprang auf den Tisch, schmiegte sich an den Philosophen und störte ihn in jeder Weise. Da warf er dem Kätzchen einen Champagnerpfropfen auf die Erde hin; das Kätzchen stürzte sich darauf und begann, den Champagnerpfropfen vor sich her zu jagen.
Und ungestört konnte der Philosoph nun folgendes denken: Es ist etwas. Aber was ist? Und was heißt sein? Was ist, kann nicht nichtsein, und alle Dinge sind, die nicht nichtsind.
Die Katze trudelte den Champagnerpfropfen von dem Arbeitstisch zum Kamin; ihre Augen leuchteten vor Eifer, denn der Verdacht war ihr gekommen, dass dies kein Champagnerpfropfen sei, sondern eine Maus, die sich nur so stelle, als sei sie ein Champagnerpfropfen.
Offenbar, so folgerte der Philosoph weiter, offenbar gibt es Dinge, die sind, und Dinge, die nicht sind. Die Welt teilt sich also in zwei große Kategorien: Kategorie a: die Dinge, die sind; Kategorie b: die Dinge, die nicht sind. Aber was heißt nun nicht sein? Nicht sein heißt nicht vorhanden sein. Wenn ich also sage, in der Kategorie b sind die Dinge, die nicht sind, begehe ich einen greifbaren Widerspruch. Denn was nicht ist, kann nirgendwo sein, also auch in der Kategorie b nicht. So bleibt nur die Kategorie a übrig, und alle Dinge sind. Es ist also etwas, aber was ist und was heißt sein?

Während der Philosoph so dachte, hatte die Katze den Champagnerpfropfen rund um das Zimmer gejagt und trieb ihn nun zu dem Arbeitstisch zurück. Dort ließ sie ihn liegen, denn sie war jetzt überzeugt, dass es doch keine Maus, sondern einfach ein Pfropfen sei.
Der Philosoph blickte sie an und lächelte.
»Törichtes Tier«, sprach er, »bist du nun weiter gekommen, dass du den Pfropfen einmal im Kreise herum gejagt hast?«


Gute Nacht!

Mittwoch, 2. Juli 2014

Jeder, der seinen Weg geht...

von Hermann Hesse
 

Jeder, der seinen Weg geht, ist ein Held. Jeder, der das wirklich tut und lebt, wozu er fähig ist, ist ein Held — und selbst wenn er dabei das Dumme oder Rückständige tut, ist er viel mehr als tausend andere, die von ihren schönen Idealen bloß reden, ohne sich ihnen zu opfern.
Dies gehört zu den Verwicklungen beim Betrachten der Welt: dass die schönen Gedanken, Ideale und Meinungen gar nicht immer auch in Händen der Edelsten und Besten sind.
Es kann ein Mensch für veraltete, überholte Götter aufs edelste kämpfen und sterben, er macht dann vielleicht den Eindruck eines Don Quichote, aber Don Quichote ist ja durch und durch Held, ist durch und durch adlig.
Umgekehrt kann ein Mensch sehr klug, belesen, redegeschickt sein, und schöne Bücher schreiben oder Reden halten, mit den bestechendsten Gedanken und Ideen, und kann doch bloß ein Schwätzer sein, der bei der ersten ernsten Forderung nach Opfer und Verwirklichung davonläuft.
Der »Held« ist nicht der gehorsame, brave Bürger und Pflichterfüller. Heldisch kann nur der Einzelne sein, der seinen »eigenen Sinn«, seinen edlen, natürlichen Eigensinn zu seinem Schicksal gemacht hat. »Schicksal und Gemüt sind Namen eines Begriffes«, hat Novalis gesagt, einer der tiefsten und unbekanntesten deutschen Geister.
Aber nur der Held ist es, der den Mut zu seinem Schicksal findet.
Würde die Mehrzahl der Menschen diesen Mut und Eigensinn haben, so sähe die Erde anders aus.


Gute Nacht!

Dienstag, 1. Juli 2014

Stoßseufzer

von Heinrich Heine

Unbequemer neuer Glauben!
Wenn sie uns den Herrgott rauben,
Hat das Fluchen auch ein End -
Himmel – Herrgott - Sakrament!

Wir entbehren leicht das Beten,
Doch das Fluchen ist von nöten,
Wenn man gegen Feinde rennt -
Himmel – Herrgott - Sakrament!

Nicht zum Lieben, nein zum Hassen,
Sollt ihr uns den Herrgott lassen,
Weil man sonst nicht fluchen könnt -
Himmel – Herrgott - Sakrament!
 Gute Nacht!
Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Gesamtzahl der Seitenaufrufe