Montag, 18. April 2016

Die Treue der Bücher

von Amos Oz

Einmal, ich war sieben oder acht Jahre alt, sagte mir Mutter, [...] es stimme zwar, dass Bücher sich im Laufe der Jahre verändern könnten, genauso wie Menschen sich mit der Zeit veränderten, aber der Unterschied liege darin, dass Menschen dich letztlich fast alle im Stich ließen, sobald sie keinen Nutzen oder keine Freude oder kein Interesse oder einfach keinen Gefallen mehr an dir fänden, während Bücher dich niemals im Leben im Stich ließen. Du würdest sie natürlich gelegentlich beiseite legen, manche sogar viele Jahre oder auch für immer. Aber sie, die Bücher, würden dir auch dann, auch wenn du ihnen untreu geworden warst, niemals endgültig den Rücken kehren: Ganz still und bescheiden würden sie auf dem Regal auf dich warten, sogar jahrzehntelang würden sie warten, ohne zu klagen. Bis du eines Nachts plötzlich eines von ihnen brauchtest, und sei es um drei Uhr früh, und sei es auch ein Buch, das du Jahr um Jahr vernachlässigt, ja fast aus dem Gedächtnis gelöscht hattest, es wird dich nicht enttäuschen, sondern vom Regal herunterkommen und in dem Moment bei dir sein, in dem du es brauchst. Es wird nicht mit dir abrechnen, keine Ausflüchte erfinden und sich nicht fragen, ob es sich für es lohnt, ob du es verdienst oder ob du noch zu ihm passt, sondern wird einfach sofort kommen, wenn du es bittest zu kommen.


Gute Nacht!

Montag, 4. April 2016

Über Vernunft, Weisheit und Leidenschaft

von Cicero

Die Vernunft hat etwas Erhabenes und Großes an sich, das mehr zum Herrschen als zum Gehorchen angelegt ist. Sie erachtet alles rein erdhaft Menschliche für gering. Sie selber ist etwas Großes und Erhabenes, das nichts fürchtet, vor niemandem weicht und immer unbezwinglich bleibt.
Alles wissen wollen, was es auch immer sein mag, ist ein Zeichen von Neugier, aber durch die Beschäftigung mit großen Dingen zum Streben nach Wissenschaft geführt zu werden, darf als Kennzeichen großer Männer gelten.
Nur die Weisheit ist es, welche die Traurigkeit aus den Herzen vertreibt und die uns nicht vor Angst erstarren lässt. Unter ihrem Geleit lässt sich im Seelenfrieden leben, wenn einmal die Glut der Leidenschaften gelöscht ist. Diese nämlich sind unersättlich, sie richten nicht nur den Einzelnen, sondern auch die ganze Familie zugrunde, sie erschüttern sogar den ganzen Staat.
Aus den Leidenschaften und Begierden entstehen Hass, Zerwürfnis, Zwietracht, Aufstand und Krieg. Sie wüten nicht nur nach außen und richten sich im blinden Hass nicht nur gegen Andere, auch drinnen im eigenen Herzen sind sie zerstritten und leben im Widerstreit miteinander. Daraus kann ja nur ein Leben voller Bitterkeit entstehen. Deshalb vermag nur der Weise, der alle Eitelkeit der Welt und allen Irrtum beseitigt hat, der mit den von der Natur gezogenen Grenzen zufrieden ist, ohne Verdruss und Angst zu leben.
 
Gute Nacht!
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