Samstag, 27. Februar 2016

Was ein Kind gesagt bekommt

von Bertolt Brecht
Der liebe Gott sieht alles.
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohlentragen stärkt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit, die kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über ein Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.                           
Zum Alter ist man ehrerbötig.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund. 

Gute Nacht!

Samstag, 20. Februar 2016

Guter Rat

aus dem Buch Sirach

Jeder Freund sagt zwar: Ich bin auch dein Freund –; aber einige sind nur dem Namen nach Freunde. Wenn ein Gefährte und Freund einem Feind wird, so bleibt der Gram darüber bis in den Tod.
Ach wo kommt doch das Übel her, dass alle Welt so voll Falschheit ist? Wenn's dem Freund gut geht, so freuen sie sich mit ihm; wenn's ihm aber schlecht geht, werden sie seine Feinde. Sie stehen ihm bei, wenn es um den Bauch geht; aber wenn es Kampf gibt, verstecken sie sich hinter dem Schild. Vergiss den Freund nicht in deinem Herzen, und denke an ihn, wenn du reich wirst.
Jeder Ratgeber will raten, aber einige raten zu ihrem eignen Nutzen. Darum hüte dich vor dem Ratgeber: Überlege zuvor, was ihm nützlich sein kann, denn er denkt vielleicht daran, zu seinem Vorteil zu raten; lass ihn nicht über dich bestimmen, damit er nicht sagt: Du bist auf dem rechten Weg –, selbst aber beiseite steht und Acht gibt, wie es dir ergehen wird.
Berate dich nicht mit dem, der dich missgünstig betrachtet, und vor denen, die dich beneiden, verbirg deinen Plan. Man fragt ja auch nicht eine Frau um Rat, wie man ihre Nebenbuhlerin freundlich behandeln soll, oder einen Ängstlichen, wie man Krieg führen soll, oder einen Kaufmann, wie hoch er deine und seine Ware schätzt, oder einen Käufer, wie teuer du etwas verkaufen sollst, oder einen Missgünstigen, wie man denken, oder einen Unbarmherzigen, wie man barmherzig sein soll, oder einen Faulen, wie man viel arbeiten kann, oder einen für ein Jahr angeworbenen Tagelöhner, ob seine Arbeit schon zu Ende ist, oder einen trägen Hausknecht, wie viel man leisten kann.


Gute Nacht!

Donnerstag, 11. Februar 2016

Das Kutschpferd

von Christian Fürchtegott Gellert
Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn
und wieherte mit Stolz auf ihn hin.
Wann, sprach es, und fing an, die Schenkel schön zu heben,
wann kannst du dir ein solches Ansehn geben?
Und wann bewundert dich die Welt?
Schweig, rief der Gaul, und laß mich ruhig pflügen!
Denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
wo würdest du den Hafer kriegen,
der deiner Schenkel Stolz erhält?

Die ihr die Niedern so verachtet,
vornehme Müßgiggänger, wißt,
daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet,
daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet,
auf ihren Fleiß gegründet ist.
Ist der, der sich und euch durch seine Händ ernährt,
nichts Bess´res als Verachtung wert?

Gesetzt, du hättest bess´re Sitten:
so ist der Vorzug doch nicht dein.
Denn stammtest du aus ihren Hütten,
so hättest du auch ihre Sitten;
und was du bist und mehr, das würden sie auch sein,
wenn sie wie du erzogen wären.
Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren.
Gute Nacht!

Freitag, 5. Februar 2016

Das Märchen der Kindheit

von Jacques Lusseyran

Meine Eltern waren für mich vollkommen. Mein Vater, der eine Hochschule für Physik und Chemie absolviert hatte und von Beruf Chemie-Ingenieur war, war ebenso intelligent wie gütig. Meine Mutter, die Physik und Biologie studiert hatte, war ganz Aufopferung und Verständnis. Beide waren mir gegenüber großzügig und aufmerksam. Aber wozu spreche ich davon? Der kleine Junge von damals wurde dessen nicht gewahr. Er gab seinen Eltern keine Qualitäten. Er dachte nicht einmal über sie nach. Er hatte es nicht nötig, über sie nachzudenken. Seine Eltern liebten ihn, und er liebte sie. Das war ein Geschenk des Himmels.
Meine Eltern — das war Schutz, Vertrauen, Wärme. Wenn ich an meine Kindheit denke, spüre ich noch heute das Gefühl der Wärme über mir, hinter mir und um mich, dieses wunderbare Gefühl, noch nicht auf eigene Rechnung zu leben, sondern sich ganz, mit Leib und Seele, auf andere zu stützen, welche einem die Last abnehmen.
Meine Eltern trugen mich auf Händen, und das ist wohl der Grund, warum ich in meiner ganzen Kindheit niemals den Boden berührte. Ich konnte weggehen, konnte zurückkommen; die Dinge hatten kein Gewicht und hafteten nicht an mir. Ich lief zwischen Gefahren und Schrecknissen hindurch, wie Licht durch einen Spiegel dringt. Das ist es, was ich als Glück meiner Kindheit bezeichne, diese magische Rüstung, die — ist sie einem erst einmal umgelegt — Schutz gewährt für das ganze Leben.


Gute Nacht!
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