Donnerstag, 24. Mai 2018

Gewinn und Verlust

von Hazrat Inayat Khan

Wenn man das Leben tiefer betrachtet, erkennt man, dass es keinen Gewinn gibt, der nicht zugleich ein Verlust ist, und dass es keinen Verlust gibt, der nicht Gewinn wäre.
Was aber der Mensch gewonnen hat, er hat auch etwas damit verloren, dessen er oft nicht gewahr wird; und manchmal, wenn er es weiß, nennt er es den Preis, wenn er es als geringeren Verlust betrachtet.
Aber wenn er es nicht weiß, ist der Verlust groß, denn jeder Gewinn ist immer ein vergänglicher Gewinn. Und die Zeit, die zu seiner Eroberung notwendig war, ist ein Verlust, ein größerer Verlust im Vergleich zu dem Gewinn.
Der Verlust eines jeden vergänglichen Dinges ist ein Gewinn im Unvergänglichen, denn er weckt das Herz, das im Streben nach dem Gewinn schläft sowie es schläft in der Freude am Gewinn. Wenn ein Mensch sein eigenes Leben und seine Ereignisse genau beobachtet, erkennt er, dass es keinen Verlust gibt, der zu bedauern wäre, dass unter dem Mantel eines jeden Verlustes ein größerer Gewinn verborgen war; und er stellt ebenfalls fest, dass mit jedem Gewinn ein Verlust verbunden war und wenn dieser Gewinn mit dem Verlust verglichen wird, erweist sich der Verlust größer als der Gewinn.


Gute Nacht!

Samstag, 12. Mai 2018

An den Tod

von Afanassi Fet 

Ersterbend fühlt ich oft die Sinne mir vergehen,
Fern dem berauschten Geist war alle Erdennot...
Drum kann ich ohne Furcht dir in das Antlitz sehen,
Du ewig finstre Nacht, du ewig starrer Tod!

Nun magst du mir das Haupt mit kalter Hand berühren
Und aus dem Lebensbuch mich streichen immerzu:
Solang den Atem wird mein warmer Busen führen,
Sind unsre Kräfte gleich, und nimmer siegest du!

Gehorchen mußt du mir, ruf ich dich in die Schranken!
Mein Schatten bist du, liegst zu Füßen mir im Bann!
Du wesenloses Nichts, du bist nur mein Gedanken,
Ein Spielzeug meines Wahns, das ich zerbrechen kann!


Gute Nacht!

Montag, 7. Mai 2018

Wie können wir unsere Feinde lieben?

von Martin Luther King

Zunächst müssen wir zur Vergebung fähig werden. Wer nicht vergeben kann, der kann auch nicht lieben. Wir können nicht mit der Feindesliebe beginnen, wenn wir nicht begreifen, dass wir denen immer wieder vergeben müssen, die uns beleidigen und verfolgen.
Wir müssen auch begreifen, dass Vergebung immer nur von dem ausgehen kann, dem Böses getan wurde. Der Übeltäter kann um Vergebung bitten. Er kann zur Besinnung kommen wie der verlorene Sohn, der reumütig zurückkehrte und sich von ganzem Herzen nach Vergebung sehnte. Aber nur der beleidigte Nachbar, der liebende Vater daheim können die Vergebung gewähren.
Wenn wir vergeben, so bedeutet das nicht, dass wir so tun, als wäre nichts geschehen, oder dass wir eine böse Tat nicht mehr beim Namen nennen. Vielmehr bedeutet es, dass eine böse Tat nicht mehr als Schranke die Beziehungen stört. Vergebung ist ein Katalysator, der die notwendige Atmosphäre für einen neuen Anfang schafft. Vergebung ist das Abnehmen einer Bürde, das Löschen einer Schuld.
Worte wie: "Ich vergebe Dir, aber ich werde nie vergessen, was du mir angetan hast", können nie das wahre Wesen der Vergebung ausdrücken. Gewiss kann man nicht vergessen, wenn vergessen bedeutet, dass etwas völlig aus dem Gedächtnis verschwunden sein soll. Wenn wir aber vergeben, so vergessen wir in dem Sinne, dass die Missetat kein Hindernis mehr für eine neue Beziehung bildet. Auch: "Ich vergebe dir, aber künftig will ich nichts mehr mit dir zu tun haben", ist falsch. Vergebung bedeutet Aussöhnung, Wiederzusammenkommen. Niemand kann ohne Vergebung seine Feinde lieben. Der Grad der Vergebungsfähigkeit bestimmt den Grad der Möglichkeit, unsere Feinde zu lieben.


Gute Nacht!
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