von Matthias Claudius
Gold und Silber habe ich nicht;
was ich aber habe, gebe ich dir.
Lieber Johannes!
Die
Zeit kömmt allgemach heran, dass ich den Weg gehen muss, den man nicht
wieder kömmt. Ich kann dich nicht mitnehmen und lasse dich in einer Welt
zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist.
Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier und fegen die Tenne.
Ich habe die Welt länger gesehen als du.
Es
ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich habe manchen
Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ,
brechen sehen.
Darum will ich dir einigen Rat geben und dir sagen, was ich funden habe und was die Zeit mich gelehret hat.
Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und nichts wahr, was nicht bestehet.
Der
Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von ungefähr in
dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andre Dinge hier mit und
neben ihm sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist sich
bewusst und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vorüber
gehen. Alle Dinge mit und neben ihm gehen dahin, einer fremden Willkür
und Macht unterworfen, er ist sich selbst anvertraut und trägt sein
Leben in seiner Hand.
Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe.
Lass dir nicht weismachen, dass er sich raten könne und selbst seinen Weg wisse.
Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare siehet er nicht und kennet sie nicht.
Spare dir denn vergebliche Mühe, und dir kein Leid, und besinne dich dein.
Halte dich zu gut, Böses zu tun.
Hänge dein Herz an kein vergänglich Ding.
Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten.
Was du sehen kannst, das siehe, und brauche deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort.
Bleibe der Religion deiner Väter getreu und hasse die theologischen Kannengießer.
Scheue
niemand so viel als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter,
der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist als an dem
Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm
es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du sinnest
und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er
spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind doch
wenn du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir
vernehmlicher sprechen.
Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit,
Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre
fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben
nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass
sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das
ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, dass man davon
reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar
leicht und behände dahin fahren, da sei auf deiner Hut, denn die Pferde,
die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schritts.
Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbass.
Wenn
dich jemand will Weisheit lehren, da siehe in sein Angesicht. Dünket er
sich hoch, und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt, lass ihn und
gehe seiner Kundschaft müßig. Was einer nicht hat, das kann er auch
nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun können, was er
will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll. Und der
ist nicht weise, der sich dünket, dass er wisse; sondern der ist weise,
der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache des Dünkels
genesen ist.
Gute Nacht!