Donnerstag, 27. Oktober 2016

Vom Schenken

von Wilhelm Busch

Die erste alte Tante sprach:
»Wir müssen nun auch dran denken,
Was wir zu ihrem Namenstag
Dem guten Sophiechen schenken.«
 

Drauf sprach die zweite Tante kühn:
»Ich schlage vor, wir entscheiden
Uns für ein Kleid in Erbsengrün,
Das mag Sophiechen nicht leiden.«
 

Der dritten Tante war das recht:
»Ja«, sprach sie, »mit gelben Ranken!
Ich weiß, sie ärgert sich nicht schlecht
Und muß sich auch noch bedanken.

Gute Nacht!

Sonntag, 23. Oktober 2016

An meinen Sohn Johannes

von Matthias Claudius 

Gold und Silber habe ich nicht;
was ich aber habe, gebe ich dir.

Lieber Johannes!
Die Zeit kömmt allgemach heran, dass ich den Weg gehen muss, den man nicht wieder kömmt. Ich kann dich nicht mitnehmen und lasse dich in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist.
Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier und fegen die Tenne.
Ich habe die Welt länger gesehen als du.
Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich habe manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ, brechen sehen.
Darum will ich dir einigen Rat geben und dir sagen, was ich funden habe und was die Zeit mich gelehret hat.
Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und nichts wahr, was nicht bestehet.
Der Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andre Dinge hier mit und neben ihm sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist sich bewusst und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vorüber gehen. Alle Dinge mit und neben ihm gehen dahin, einer fremden Willkür und Macht unterworfen, er ist sich selbst anvertraut und trägt sein Leben in seiner Hand.
Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe.
Lass dir nicht weismachen, dass er sich raten könne und selbst seinen Weg wisse.
Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare siehet er nicht und kennet sie nicht.
Spare dir denn vergebliche Mühe, und dir kein Leid, und besinne dich dein.
Halte dich zu gut, Böses zu tun.
Hänge dein Herz an kein vergänglich Ding.
Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten.
Was du sehen kannst, das siehe, und brauche deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort.
Bleibe der Religion deiner Väter getreu und hasse die theologischen Kannengießer.
Scheue niemand so viel als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du sinnest und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind doch wenn du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir vernehmlicher sprechen.
Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behände dahin fahren, da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schritts.
Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbass.
Wenn dich jemand will Weisheit lehren, da siehe in sein Angesicht. Dünket er sich hoch, und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt, lass ihn und gehe seiner Kundschaft müßig. Was einer nicht hat, das kann er auch nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll. Und der ist nicht weise, der sich dünket, dass er wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache des Dünkels genesen ist.
 
Gute Nacht!

Samstag, 15. Oktober 2016

Verhaltenes Schmerzen

von Justinus Kerner 

Könnt' ich mit meinem Gram
Mich in mich selbst versenken,
An was der Tod mir nahm,
Mit stiller Wehmut denken!

Könnt' in Waldeinsamkeit
Ich ein Einsiedler fliehen,
Dann würd' das herbe Leid
Mich minder heiß durchglühen.

Das laute Menschenwort,
So lieb und gut gemeinet,
Lockt mich wohl aus mir fort,
Das Auge nicht mehr weinet,

Doch tiefer brennt die Glut
Indes mir still im Herzen.
Nicht schmerzlicher was tut,
Als ein verhaltnes Schmerzen.

Gute Nacht!

Sonntag, 9. Oktober 2016

Über die allgemeine Erkenntnis des Menschen

von Blaise Pascal

Die erste Sache, die sich dem Menschen bei einer Selbstbetrachtung darbietet, ist sein Körper, das heißt eine gewisse Masse Materie, die ihm eigen ist. Um aber zu begreifen, was sie sei, muß er sie vergleichen mit allem, was über, und mit allem, was unter ihm ist, damit er seine rechten Grenzen erkenne.

Er bleibe doch nicht dabei stehen, einfach die Gegenstände zu betrachten, welche ihn umgeben; er betrachte die ganze Natur in ihrer ganzen erhabenen Majestät; er beschaue jenes glänzende Licht, welches gleich einer ewigen Fackel das Universum erleuchtet; die Erde erscheine ihm wie ein Punkt, gegenüber dem weiten Umkreis, den dieses Gestirn beschreibt; und er möge darüber erstaunen, daß dieser weite Umkreis selbst nur ein verschwindender Punkt ist gegenüber dem, den die Sterne, die im Firmamente dahinrollen, umfassen.

Wenn aber hier unser Denken stillsteht, so möge die Phantasie weiterschweifen. Sie wird weit eher ermüden auszumalen, als die Natur, Farben darzureichen. Alles, was wir von der Welt sehen, ist nur eine unmerkliche Spur in dem weiten Busen der Natur. Keine Idee reicht an die Ausdehnung ihrer Räume. Wir haben unsere Begriffe gut aufgeblasen, wir schaffen doch nur Atome gegenüber den wirklichen Dingen. Es ist eine unendliche Sphäre, deren Zentrum überall, deren Peripherie nirgends ist. Endlich ist es eins der größten deutlichen Kennzeichen der Allmacht Gottes, daß unsere Phantasie sich in diesem Gedanken verliert.

In sich zurückgekehrt, betrachte der Mensch, was er ist im Verhältnis zu dem, was ist; er erkenne sich als verirrt in diesem abgelegenen Bezirk der Natur; und darnach, wie ihm dieser kleine Kerker, in welchem er wohnt, das heißt diese sichtbare Welt erscheint, lerne er die Erde, die Königreiche, die Städte, sich selbst, seinen wahren Wert schätzen.
[...]
Der Mensch ist nur ein sehr schwaches Rohr der Natur; aber er ist ein denkendes Rohr. Das ganze Universum braucht sich nicht zu bewaffnen, ihn zu zermalmen. Etwas Dampf, ein Tropfen Wasser genügt, ihn zu töten. Aber wenn das Universum ihn auch zermalmt, der Mensch ist doch viel edler als das, was ihn tötet, denn er weiß, dass er stirbt; welchen Vorzug das Universum auch vor ihm hat, das Universum weiß nichts davon. Also besteht all unsere Würde in dem Gedanken.

Daran müssen wir uns wieder aufrichten, nicht am Raum noch an der Dauer. Sorgen wir also dafür, gut zu denken. Das ist das Prinzip der Moral!


Gute Nacht!
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