Montag, 28. Oktober 2013

Beherzigung

von Eugen Roth
Ein Mensch, der sich zu gut erschienen,
Als Vorstand dem Verein zu dienen,
Und der, bequem, sich ferngehalten,
Die Kasse etwa zu verwalten,
Der viel zu faul war, Schrift zu führen,
Kriegt einst der Reue Gift zu spüren.
Sein sechszigster Geburtstag naht -
Wo schreitet wer zur Glückwunschtat?
Tut dies am Ende der Verein?
Nur für ein unnütz Mitglied? Nein!
Kein Ständchen stramm, kein Festprogramm,
Auch kein Ministertelegramm,
Kein Dankesgruß der Bundesleitung
Und keine Zeile in der Zeitung.
Wird etwa gar dann sein Begräbnis
Ihm selbst und andern zum Erlebnis?
Sieht man dortselbst Zylinder glänzen?
Schwankt schwer sein Sarg hin unter Kränzen?
Spricht irgendwer am offnen Grabe,
Was man mit ihm verloren habe?
Entblößt sich dankbar eine Stirn?
Läßt eine Hand im schwarzen Zwirn
Auf seinem Sarg die Schollen kollern
Bei Fahnensenken, Böllerbollern? -
An seinem Grab stehn nur der Pfarrer
Und die bezahlten Leichenscharrer.
Der Mensch, der dies beschämend fand,
Ward augenblicks Vereinsvorstand. 

Gute Nacht!

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Über das Absurde

von Albert Camus

Man entdeckt das Absurde nicht, ohne in die Versuchung zu geraten, irgendein Handbuch des Glücks zu schreiben. „Was! Auf so schmalen Wegen...?“ Es gibt aber nur eine Welt. Glück und Absurdität entstammen ein und derselben Erde. Sie sind untrennbar miteinander verbunden. Irrtum wäre es, wollte man behaupten, daß das Glück zwangsläufig der Entdeckung des Absurden entspringe. Wohl kommt es vor, daß das Gefühl des Absurden dem Glück entspringt. „Ich finde, daß alles gut ist“, sagt Ödipus, und dieses Wort ist heilig. Es wird in dem grausamen und begrenzten Universum des Menschen laut. Es lehrt, daß noch nicht alles erschöpft ist, daß noch nicht alles ausgeschöpft wurde. Es vertreibt aus dieser Welt einen Gott, der mit dem Unbehagen und mit der Vorliebe für nutzlose Schmerzen in sie eingedrungen war. Es macht aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit, die unter Menschen geregelt werden muß.
Darin besteht die ganze verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. Ebenso läßt der absurde Mensch, wenn er seine Qual bedenkt, alle Götzenbilder schweigen. Im Universum, das plötzlich wieder seinem Schweigen anheimgegeben ist, werden die tausend kleinen, höchst verwunderten Stimmen der Erde laut. Unbewußte, heimliche Rufe, Aufforderungen aller Gesichter bilden die unerläßliche Kehrseite und den Preis des Sieges. Ohne Schatten gibt es kein Licht; man muß auch die Nacht kennenlernen. Der absurde Mensch sagt Ja, und seine Mühsal hat kein Ende mehr. Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er unheilvoll und verächtlich findet. Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Zeit. Gerade in diesem Augenblick, in dem der Mensch sich wieder seinem Leben zuwendet (ein Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt), bei dieser leichten Drehung betrachtet er die Reihe unzusammenhängender Taten, die sein Schicksal werden, seine ureigene Schöpfung,die in seiner Erinnerung geeint ist und durch den Tod alsbald besiegelt wird. Überzeugt von  dem rein menschlichen Ursprung alles Menschlichen, ist er also immer unterwegs - ein Blinder, der sehen möchte und weiß, daß die Nacht kein Ende hat. Der Stein rollt wieder.

Ich verlasse Sisyphos am Fuße des Berges! Seine Last findet man immer wieder. Nur lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. Auch er findet, daß alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. 
Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Gute Nacht!

Samstag, 19. Oktober 2013

Ja, das möcht ich noch erleben

von Theodor Fontane

Eigentlich ist mir alles gleich,
Der eine wird arm, der andre wird reich,
Aber mit Bismarck – was wird das noch geben?
Das mit Bismarck, das möcht' ich noch erleben.

Eigentlich ist alles soso,
Heute traurig, morgen froh,
Frühling, Sommer, Herbst und Winter,
Ach, es ist nicht viel dahinter.

Aber mein Enkel, so viel ist richtig,
Wird mit nächstem vorschulpflichtig,
Und in etwa vierzehn Tagen
Wird er eine Mappe tragen,
Löschblätter will ich ins Heft ihm kleben –
Ja, das möcht' ich noch erleben.

Eigentlich ist alles nichts,
Heute hält's, und morgen bricht's,
Hin stirbt alles, ganz geringe
Wird der Wert der ird'schen Dinge;
Doch wie tief herabgestimmt
Auch das Wünschen Abschied nimmt,
Immer klingt es noch daneben:
Ja, das möcht' ich noch erleben.

Gute Nacht!

Sonntag, 13. Oktober 2013

Ist der Mensch von Natur aus böse?

von Voltaire

Dass der Mensch weder böse noch als ein Kind des Teufels zur Welt kommt, scheint mir erwiesen. Wenn seine Natur so beschaffen wäre, würde er Schandtaten und Grausamkeiten begehen, sobald er laufen könnte, würde das erste beste Messer nehmen, um jeden umzubringen, der ihm missfiele. Er würde dann notwendigerweise den jungen Wölfen und Füchsen gleichen, die zubeißen, sobald sie dazu imstande sind.
In Wirklichkeit hat der Mensch überall auf der Erde als Kind die Natur eines Lammes. Warum also und auf welche Weise wird er so oft zum Wolf und zum Fuchs? Nun, er kommt weder gut noch böse zur Welt, aber die Erziehung, das gute oder schlechte Beispiel, die Staatsordnung, in die er hineingesetzt wird, kurz, die äußeren Umstände und Gelegenheiten bestimmen ihn zur Tugend oder zum Verbrechen.
Vielleicht konnte die menschliche Natur nicht anders sein. Der Mensch konnte nicht immer falsch und nicht immer richtig denken, er konnte nicht immer zur Sanftmut und nicht immer zur Grausamkeit neigen.
Es scheint mir erwiesen, dass die Frauen besser sind als die Männer. Auf eine Klytämnestra kommen hundert feindliche Brüder.
Es gibt Berufe, die das Gemüt notwendigerweise verhärten. Das gilt für die Soldaten, für die Schlächter, für die Polizisten, für die Kerkermeister, für alle Berufe, die sich auf das Unglück anderer Menschen gründen.
[...]Es gibt noch abscheulichere Berufe, die trotzdem begehrt sind wie Domherrnpfründe.
Es gibt Berufe, die einen anständigen Menschen zum Schurken machen und ihn wider seinen Willen ans Lügen und Betrügen gewöhnen, ohne dass er es richtig merkt, die ihn daran gewöhnen, eine Binde vor den Augen zu tragen, sich durch die Interessen und den Dünkel seines Standes verblenden zu lassen und die Menschen ohne Gewissensbisse zu verdummen.
Die Frauen, unablässig mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt und von ihren häuslichen Sorgen in Anspruch genommen, sind von all diesen Berufen, die die menschliche Natur verderben und verrohen, ausgeschlossen. Sie sind überall weniger roh als die Männer. Das Körperliche verbindet sich mit dem Moralischen, um die Frauen von schweren Verbrechen fernzuhalten. Ihr Blut ist sanfter, und sie neigen weniger zu starken Getränken, die verrohend wirken. Ein klarer Beweis dafür ist die Tatsache, dass, wie wir an anderer Stelle nachgewiesen haben, auf tausend Opfer der Justiz, auf tausend Hinrichtungen wegen Mordes kaum vier Frauen kommen. Ich glaube nicht einmal, dass in Asien auch nur zwei Frauen wegen Mordes zum Tode verurteilt worden sind.
Es scheint also, dass unsere Sitten und Gebräuche die Männer bösartig gemacht haben.
Wäre dies allgemein und ohne Ausnahme der Fall, so wäre das männliche Geschlecht scheußlicher, als es in unseren Augen die Spinnen, die Wölfe und die Marder sind. Glücklicherweise aber gibt es nur sehr wenige Berufe, die das Herz verhärten und abscheuliche Leidenschaften in ihm wecken.
[...]Trösten wir uns mit der Feststellung, dass es von Peking bis La Rochelle immer edle Menschen gegeben hat und geben wird.


Gute Nacht!

Dienstag, 1. Oktober 2013

Drei Bären

von Heinz Erhardt


Ein Brombär, froh und heiter, schlich
durch einen Wald. Da traf es sich,
daß er ganz unerwartet, wie's
so kommt, auf einen Himbär stieß.

Der Himbär rief, vor Schrecken rot:
"Der grüne Stachelbär ist tot!
Am eignen Stachel starb er eben!"
"Ja", sprach der Brombär, "das soll's geben!"
und trottete -nun nicht mehr heiter - weiter...

Doch als den "Toten" er nach Stunden
gesund und munter vorgefunden,
kann man wohl zweifelsohne meinen:
Hier hat der andre Bär dem einen
'nen Bären aufgebunden!

Gute Nacht!
Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Gesamtzahl der Seitenaufrufe