von Carl Gustav Jung
(aus einem Brief an Prof. Karl Oftinger, Begründer der "Liga gegen Lärm")
Die
beängstigende Verschmutzung des Wassers, die langsam wachsende
Radioaktivität und die dunkle Drohung der Übervölkerung mit ihren
genoziden Tendenzen haben bereits zu einer allgemein verbreiteten, wenn
schon nicht überall bewusst gewordenen Angst geführt; man liebt den
Lärm, da er diese nicht zu Wort kommen lässt.
Der Lärm ist
willkommen, denn er übertönt die innere instinktive Warnung. Wer sich
fürchtet, sucht laute Gesellschaft und tosenden Lärm, der die Dämonen
verscheucht. (Die entsprechenden primitiven Mittel sind Geschrei, Musik,
Trommeln, knallendes Feuerwerk, Glockenläuten etc.). Der Lärm gibt ein
Sicherheitsgefühl, wie die Volksmenge; daher liebt man ihn und scheut
sich etwas dagegen zu tun, denn man fühlt instinktiv den apotropäischen
Zauber, der von ihm ausgeht.
Der Lärm schützt uns vor peinlichem
Nachdenken, er zerstreut ängstliche Träume, er versichert uns, dass wir
ja alle zusammen seien und ein solches Getöse veranlassen, dass niemand
es wagt uns anzugreifen. Der Lärm ist so unmittelbar, so überwältigend
wirklich, dass alles andere zum blassen Phantom wird. Er enthebt uns
aller Anstrengung etwas zu sagen oder zu tun, denn sogar die Luft
zittert vor Gewalt unserer unüberwindlichen Lebensäußerung.
Das ist
die Kehrseite der Medaille: Wir hätten den Lärm nicht, wenn wir ihn
nicht heimlich wollten. Er ist nicht bloß unangelegen oder gar
schädlich, sondern ein uneingestandenes und unverstandenes Mittel zum
Zweck; nämlich eine Kompensation der Angst, für die nur allzu reichlich
Gründe vorliegen. In der Stille nämlich würde die Angst den Menschen zum
Nachdenken veranlassen und es ist gar nicht abzusehen, was einem dann
alles zum Bewusstsein käme.
Die meisten Menschen fürchten die Stille,
darum muss immer wenn das beständige Geräusch, z.B. eine Unterhaltung,
aufhört, etwas getan, gesagt, gepfiffen, gesungen, gehustet oder
gemurmelt werden. Das Bedürfnis nach Geräusch ist beinahe unersättlich,
wenn schon bisweilen der Lärm unerträglich wird. Er ist aber doch
immerhin besser als nichts. In der bezeichnenderweise so genannten
„Totenstille“ wird es unheimlich. Warum? Gehen etwa Gespenster um? Dies
wohl kaum. Das, was in Wirklichkeit gefürchtet wird, ist das, was vom
eigenen Inneren kommen könnte, nämlich all das, was man sich durch Lärm
vom Halse gehalten hat.
Sie haben mit der so nötigen Bekämpfung des
Lärms eine schwierige Aufgabe übernommen: Wohl wäre es wünschenswert das
Übermaß des Lärms zu vermindern, aber je mehr Sie dem Lärm auf den Leib
rücken, desto mehr geraten Sie auf das verbotene Territorium der
Stille, die so sehr gefürchtet wird. Sie berauben auch jene, die nichts
bedeuten und deren Stimme nie gehört wird, der einzigen Daseinsfreude
und der unvergänglichen Genugtuung, die sie empfinden, wenn sie die
Stille der Nacht mit dem Knattern ihres Motors durchbrechen und mit
einem Höllenlärm den Schlaf ihrer Mitmenschen stören können. In diesem
Moment sind sie etwas, das in Betracht kommt. Der Lärm ist ihnen eine
raison d'être und eine Bestätigung ihres Daseins. Es gibt viel mehr
Menschen als man ahnt, die vom Lärm nicht gestört sind, denn sie haben
nichts, in dem sie gestört sein könnten; im Gegenteil, der Lärm gibt
ihnen etwas.
Gute Nacht!
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