Sonntag, 17. Juli 2016

Aphorismen

von Georg Christoph Lichtenberg

Es gibt keine wichtigere Lebensregel in der Welt als die: Halte dich, soviel du kannst, zu Leuten, die geschickter sind als du, aber doch nicht so sehr unterschieden sind, dass du sie nicht begreifst. Das Erheben wird deinem Ehrgeiz durch Instinkt leichter werden als dem Allzugroßen das Herablassen aus kalter Entschließung.

Der Umgang mit vernünftigen Leuten ist deswegen jedermann so sehr anzuraten, weil ein Dummkopf auf diese Art durch Nachahmen klug handeln lernen kann, denn die größten Dummköpfe können nachahmen, selbst die Affen, Pudelhunde und Elefanten können es.

Ich habe sehr häufig gefunden, daß gemeine Leute, die nicht rauchten, an Orten, wo das Rauchen gewöhnlich ist, immer sehr gute und tätige Menschen waren. Bei dem gemeinen Mann ist es leicht zu erklären; es verrät bei dieser Klasse vorzüglich schon etwas Gutes, sich von einer solchen Mode nicht hinreißen zu lassen, oder überhaupt etwas zu unterlassen, was wenigstens von Anfang nicht behagt. Auch muß ich gestehen, daß von allen den Gelehrten, die ich in meinem Leben habe kennen gelernt, und die ich eigentlich Genies nennen möchte, kein einziger geraucht hat. – Hat wohl Lessing geraucht?

Es ist für die Vervollkommnung unseres Geistes gefährlich, Beifall durch Werke zu erhalten, die nicht unsere ganze Kraft erfordern. Man steht alsdann gewöhnlich stille. Rochefoucauld glaubt daher, es habe noch nie ein Mensch alles das getan, was er habe tun können; ich halte dafür, daß dieses größtenteils wahr ist. Jede menschliche Seele hat eine Portion Indolenz, wodurch sie geneigt wird, das vorzüglich zu tun, was ihr leicht wird.

Wenn ich noch ein Zeichen des Verstandes angeben soll, das mich selten betrogen hat, so ist es dieses, dass Leute, die sehr viel älter sind, als sie scheinen, selten viel Verstand hatten, und umgekehrt junge Leute, die alt aussehen, sich auch dem Verstand des Alters nähern. Man wird mich verstehen und nicht etwa glauben, dass [ich] unter jung Aussehen Gesundheit und frische Farbe und unter Anschein des Alters Falten und Blässe verstehe.

Eine angenehme Stimme ist sehr oft mit sonst übrigens guten Eigenschaften des Leibes und der Seele verbunden. Und doch sind so viel Sängerinnen Huren und die meisten Menschen haben schlechte Stimmen.

Man gibt falsche Meinungen, die man von Menschen gefasst hat, nicht gern auf, sobald man sich dabei auf subtile Anwendung von Menschenkenntnis etwas zugute tun [zu] können für berechtigt hält und glaubt, solche Blicke in das Herz des andern könnten nur gewisse Eingeweihte tun. – Es gibt daher wenige Fächer der menschlichen Erkenntnis, worin das Halbwissen größern Schaden tun kann, als dieses Fach.


Gute Nacht!

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