von Robert Walser
Die Eltern prägen den Kindern die fürchterliche
Angst vor dem Dunkel ein und schicken dann zur Strafe die Unartigen in
stille, schwarze Kammern. Da greift nun das Kind im Dunkel, im dicken
Dunkel und stößt nur auf Dunkel. Des Kindes Angst und das Dunkel kommen
ganz gut miteinander aus, aber nicht das Kind mit der Angst. Das Kind
hat soviel Talent, Angst zu haben, daß die Angst immer größer wird. Sie
bemächtigt sich des kleinen Kindes, denn sie ist etwas so Großes,
Dickes, Schweratmendes; das Kind würde zum Beispiel gern schreien
wollen, aber es wagt es nicht. Dieses Nicht-Wagen vergrößert noch seine
Angst; denn etwas Furchtbares muß da sein, wenn man nicht einmal vor
Angst Angstschreie ausstoßen darf. Das Kind glaubt, jemand horche im
Dunkel. Wie schwermütig einen das macht, sich solch ein armes Kind
vorzustellen. Wie die armen Öhrchen sich anstrengen, ein Geräusch zu
erhorchen: nur den tausendsten Teil eines Geräuschleins. Nichts hören
ist viel angstvoller als etwas hören, wenn man schon einmal im Dunkel
steht und hinhorcht. Überhaupt schon: hinhorchen und beinahe das eigene
Horchen hören. Das Kind hört nicht auf, zu hören. Manchmal horcht es,
und manchmal hört es nur, denn das Kind weiß zu unterscheiden in seiner
namenlosen Angst. Wenn man sagt: hören, so wird eigentlich etwas gehört,
aber wenn man sagt: horchen, so horcht man vergeblich, man hört nichts,
man möchte hören. Horchen ist Sache des Kindes, das in eine dunkle
Kammer eingesperrt wird, zur Strafe für Unarten. Denke man sich jetzt,
daß jemand herankäme, leise, fürchterlich leise. Nein, das lieber nicht
denken. Lieber das nicht denken. Derjenige, der das denkt, stirbt mit
dem Kinde vor Schreck. So zarte Seelen haben Kinder, und solchen Seelen
solche Schrecknisse zudenken! Eltern, Eltern, stecket nie eure unartigen
Kinder in dunkle Kammern, wenn ihr sie vorher gelehrt habt, Angst vor
dem sonst so lieben, lieben Dunkel zu empfinden.
Und trotzdem: Gute Nacht!
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