Mittwoch, 24. Dezember 2014

Geben und Nehmen

von Hermann Hesse 

Es ist ein merk­wür­di­ges, doch ein­fa­ches Ge­heim­nis der Le­bens­weis­heit aller Zei­ten, dass jede kleins­te selbst­lo­se Hin­ga­be, jede Teil­nah­me, jede Liebe uns rei­cher macht, wäh­rend jede Be­mü­hung um Be­sitz und Macht uns Kräf­te raubt und ärmer wer­den lässt. Das haben die Inder ge­wusst und ge­lehrt, und dann die wei­sen Grie­chen, und dann Jesus, des­sen Fest wir jetzt fei­ern, und seit­her noch Tau­sen­de von Wei­sen und Dich­tern, deren Werke die Zei­ten über­dau­ern, wäh­rend Rei­che und Kö­ni­ge ihrer Zeit ver­schol­len und ver­gan­gen sind. Ihr mögt es mit Jesus hal­ten oder mit Plato, mit Schil­ler oder mit Spi­no­za, über­all ist das die letz­te Weis­heit, dass weder Macht noch Be­sitz noch Er­kennt­nis selig macht, son­dern al­lein die Liebe. Jedes Selbst­los­sein, jeder Ver­zicht aus Liebe, jedes tä­ti­ge Mit­leid, jede Selbst­ent­äus­se­rung scheint ein Weg­ge­ben, ein Sich­be­rau­ben, und ist doch ein Rei­cher­wer­den und Grös­ser­wer­den, und ist doch der ein­zi­ge Weg, der vor­wärts und auf­wärts führt. Es ist ein altes Lied und ich bin ein schlech­ter Sän­ger und Pre­di­ger, aber Wahr­hei­ten ver­al­ten nicht und sind stets und über­all wahr, ob sie nun in einer Wüste ge­pre­digt, in einem Ge­dicht ge­sun­gen oder in einer Zei­tung ge­druckt wer­den.


Gute (Weih-)Nacht!

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