Mittwoch, 10. Dezember 2014

Die Hand - Bedingung der Zärtlichkeit

von Günther Anders

Wichtigste Folge des aufrechten Ganges ist also: Freiheit der Hand. Ohne diese Freiheit, die die gesamte Humanität des Menschen bedingt (nämlich sein Verhältnis zur Welt, das in "Behandlung" besteht), wäre auch die menschliche Liebe, gleich, ob wir an die tröstende Hand denken oder an die verführende, niemals human.
Keinen hoffnungsloseren Anblick gibt es, als den von Tieren, denen Körperbau und Körperhaltung das verwehrt, was ihre Zärtlichkeit verlangt. — Neulich im Zoo das Pony, das ausgestreckten Halses über den Nacken seines Zwillings hin- und herkosend, verzweifelt schien, eben weil ihm nicht mehr gegönnt war, als nur anzudeuten, was es meinte. - Wie tröstlich war es danach, zu den Bären zu kommen, denen aus unerfindlichen Gründen mehr gewährt ist: Die Bärin hielt ihre zwei Kleinen in ihren Armen. — Wenn uns der Bär, trotz seiner notorischen Gefährlichkeit "näher" scheint als Löwe oder Tiger, wenn er uns rührt wie ein tolpatschiges Kind, so eben, weil er schon beinahe
"frei" ist für Zärtlichkeiten. Und siehe da: Im Unterschiede zu Löwe oder Tiger gehört es bereits zu ihm, sich aufzurichten; wenn auch nur halb und vorübergehend, so als habe er das letzte Examen im aufrechten Gang doch noch nicht bestehen können. —
Und nun wir.
Gibt es auch nur eine einzige Liebesgeste ohne den für die Liebe freien Arm? Ohne die für die Liebe freie Hand? Wo soll man da anfangen? Damit, daß wir uns schon aus der Entfernung entgegenwinken können? Oder damit, daß wir einander die Hand reichen oder einander bei den Händen halten können? Also Nähe und Distanz verbinden können? Denn Hand in Hand, oder Arm in Arm — das ist ja mehr, mindestens anderes, als nur augenblickliches Aneinanderdrängen: nämlich Zusammengehörigkeit; Zusammengehörigkeit, die jeden doch noch als ihn selbst "freiläßt". —Nichts dergleichen habe ich je bei Tieren gesehen.


Gute Nacht!

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