Montag, 7. April 2014

Über die Ursachen des Unglücks

von Bertrand Russell

Die meisten Menschen lassen es in hohem Grade an Kontrolle über ihre Gedanken fehlen. Damit meine ich, daß sie nicht aufhören können, sich innerlich über Dinge abzuquälen, an denen zur Zeit doch nichts zu ändern ist. Die Männer nehmen ihre geschäftlichen Sorgen mit zu Bett, und statt während der Nachtstunden frische Kräfte zu sammeln, damit sie es mit den Anforderungen des nächsten Tages aufnehmen können, überdenken sie zum hundertsten und tausendsten Male Probleme, denen sie im Augenblick machtlos gegenüberstehen, und zwar überdenken sie sie nicht im Hinblick auf ein rasches zielbewußtes Eingreifen, sondern mit jener unsinnigen Aufgeregtheit, die für die Grübeleien schlafloser Nächte kennzeichnend ist. Noch am Morgen haftet ihnen etwas von diesem mitternächtlichen Wahnsinn an und trübt ihr Urteil, verdirbt ihnen die Laune und läßt sie über jedes Hindernis in Raserei geraten. Der Kluge beschäftigt sich nur dann mit seinen Sorgen, wenn es einen Zweck hat; sonst denkt er an etwas anderes oder, solange es Nacht ist, überhaupt an nichts. Ich will nun nicht sagen, jedermann könne angesichts einer großen Krise, etwa von unmittelbar drohendem Ruin oder wenn ein Mann Grund zu dem Verdacht hat, daß seine Frau ihn betrügt, die Sorgen in Augenblicken, wo ein Handeln sich verbietet, völlig ausschalten. Das ist nur ganz wenigen außergewöhnlich disziplinierten Geistern möglich. Ganz gut möglich aber ist es, die gewöhnlichen Alltagssorgen auszuschalten, außer in den Stunden, wo man tätig dagegen vorgehen kann. Es ist erstaunlich, in welchem Maße sowohl Glück wie Leistungsfähigkeit durch die Pflege eines wohlgeordneten Geistes gefördert werden können, das heißt eines Geistes, der, statt sich immerfort in unzweckmäßiger Weise mit den Dingen zu beschäftigen, sich zur richtigen Zeit in angemessener Weise damit beschäftigt. Steht ein schwieriger oder quälender Beschluß bevor, so tut man gut, ruhig und vernünftig darüber nachzudenken, sobald alle Bausteine dazu zusammengetragen sind, und ihn bald zu fassen; und ist das einmal geschehen, so sollte man ihn nicht umstürzen, es sei denn, daß neue Tatsachen hinzukämen. Nichts ist so zermürbend, nichts so unnütz wie Unentschlossenheit.


Gute Nacht!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Gesamtzahl der Seitenaufrufe