Sonntag, 3. Mai 2020

Die beiden Fuhrleute

von Johann Peter Hebel

Zwei Fuhrleute begegneten sich mit ihren Wagen in einem Hohlweg und konnten einander nicht gut ausweichen. „Fahre mir aus dem Wege!“ rief der eine. „Ei, so fahre du mir aus dem Wege“, rief der andere. „Ich will nicht!“ sagte der eine. „Ich brauche nicht!“ sagte der andere. Weil keiner nachgab, kam es zu heftigem Zank und zu Scheltworten.
„Höre, du“, sagte endlich der erste,“ jetzt frage ich dich zum letzten Mal: Willst du mir aus dem Wege fahren oder nicht? Tust du es nicht, so mache ich es mit dir, wie ich es heute schon mit einem gemacht habe.“Das schien dem andern doch eine bedenkliche Drohung. „Nun“, sagte er, „so hilf mir wenigstens, deinen Wagen ein wenig beiseite schieben; ich habe ja sonst nicht Platz, um mit dem meinigen auszuweichen!“ Das ließ sich der erste gefallen, und in wenigen Minuten war die Ursache des Streites beseitigt.
Ehe sie schieden, fasste sich der, der aus dem Wege gefahren war, noch einmal ein Herz und sagte zu dem andern: „Höre, du drohtest doch, du wolltest es mit mir ma-chen, wie du es heute schon mit einem gemacht hättest! Sage mir doch, wie hast du es mit dem gemacht?“
„Ja, denke dir“, sagte der andere, der Grobian wollte mir nicht aus dem Wege fahren, da – fuhr ich ihm aus dem Wege.“


Gute Nacht!

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