von Ludwig Büchner
Einerseits erzeugen Armut, Besitzlosigkeit und
Mangel an Erziehung und Bildung die meisten Verbrechen gegen Staat und
Gesellschaft, während andrerseits übertriebener Reichtum Müssiggang und
allerhand Laster im Gefolge hat; wodurch Staat und Gemeinde genötigt
werden, eine kostspielige Justiz mit allen ihren hässlichen Anhängseln
und eine ebenso kostspielige Armenpflege zu unterhalten. In moralischer
Beziehung erzeugt der allgemeine Konkurrenzkampf hässliche
Leidenschaften, wie Neid, Hass, Mitleidlosigkeit, Geldgier,
Hartherzigkeit, gegenseitige Verfolgungssucht statt gegenseitiger Liebe
und Unterstützung. Jeder denkt und handelt nur für sich und sein eignes
Interesse, weil er weiss, dass im Notfall kein anderer für ihn eintreten
oder dass er an der Gesamtheit keine Stütze finden würde. In einer
richtig organisierten Gesellschaft müsste der Gewinn des Einzelnen
zugleich der Gewinn der Gesamtheit sein und umgekehrt, und das Motto
derselben müsste heissen: »Einer für alle und alle für einen«, während
jetzt in der Regel das Gegenteil stattfindet. Unsre grössten Gewinne
erzielen wir durch eine der traurigsten Ursachen oder durch den Tod
derjenigen, welche uns im Leben die liebsten waren, indem wir sie
beerben. Der Baumeister und alle bei Bauten beschäftigten Arbeiter
müssen sich freuen, wenn Häuser einstürzen oder abbrennen; die
Grubenarbeiter desgleichen, wenn hunderte ihrer unglücklichen Kameraden
im Dunste der Bergwerke ersticken; der Arzt muss sich freuen, wenn es
viele Krankheiten gibt; der Advokat nährt sich von Prozessen, welche
seinen Mitbürgern Ruhe und Vermögen rauben; der Richter muss Gefallen
haben an grossen Kriminalprozessen; die Offiziere müssen sich freuen,
wenn das größte Übel, welches die Menschheit betreffen kann, der Krieg
ausbricht, weil sie davon Beförderung erwarten; der Familienvater muss
sich freuen, wenn seine Nachkommenschaft möglichst klein bleibt,
obgleich der eigentliche Zweck der Familie dabei verloren geht; der Wirt
oder der Verkäufer geistiger Getränke muss sich freuen, wenn die
Trunksucht, und die verlorenen Töchter des Volkes müssen sich freuen,
wenn die Unzucht zunimmt; alle Handwerker und Produzenten müssen sich
freuen, wenn die von ihnen erzeugten Gegenstände übermässig rasch
verbraucht werden; ein Gewitter oder Hagelschlag wird trotz des durch
solche Naturereignisse angerichteten Schadens von dem Glaser oder
Versicherungsagenten gern gesehen; wie denn überhaupt beinahe alles, was
dem einen Schaden, dem ändern Verdienst bringt.
Gute Nacht!
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