Montag, 5. November 2018

Die Frage des Weltfriedens

von Arthur Schnitzler

Niemals ist um irgendeine Idee Krieg geführt worden, es hat sich nie um etwas Anderes als um Machtkämpfe gehandelt, doch waren die Ideen als Vorwände, geglaubte oder ungeglaubte, niemals zu entbehren. Es ist eine historische Fälschung, dass der dreißgjährige Krieg ein Religionskrieg war. Beweis dagegen, dass schon wenige Jahre nach Beginn Protestanten im Heere des Kaisers und Katholiken bei seinen Gegnern kämpften. Und in der zweiten Hälfte war das prozentuelle Verhältnis geradezu verschoben.
Es lässt sich nicht nur beweisen, dass die Ideen, um die Kriege geführt wurden, den Völkern oder den Heeren vorgespiegelt wurden, es lässt sich sogar beweisen, dass die Entfessler selbst entweder nicht an die Idee geglaubt haben, für die sie angeblich kämpften, oder dass sie Monomanen waren.
Hier spielt natürlich die insbesonders bei Politikern zu hoher Vollendung ausgebildete Kunst , die eigene Seele gebietsweise freiwillig ins Dunkel zu versetzen, eine große Rolle.

Man sagt, er ist den schönen Heldentod gestorben. Warum sagt man nie, er hat eine herrliche Heldenverstümmelung erlitten? Man sagt, er ist für das Vaterland gefallen. Warum sagt man nie, er hat sich für das Vaterland beide Beine amputieren lassen?
Das Wörterbuch des Krieges ist von den Diplomaten, den Militärs und den Machthabern gemacht. Es sollte von denen richtiggestellt werden, die aus dem Krieg heimgekehrt sind, von den Witwen, den Waisen, den Ärzten und den Dichtern.
So lange der Krieg als eine Möglichkeit überhaupt in Betracht kommt, also, so lange es Berufszweige gibt, die auf die Möglichkeit eines Krieges gestellt sind, ferner, so lange es auch nur einen Menschen gibt, der durch den Krieg seinen Reichtum vergrößern oder solchen erwerben kann und der zu gleicher Zeit die Macht hat oder den Einfluss, einen Krieg herbeizuführen, genau so lange wird es Kriege geben. Und hier ist die Frage des Weltfriedens anzupacken, nirgends anders.
Weder in religiösen noch in philosophischen, noch in ethischen Motiven. Diese spielen absolut keine Rolle. Weder die Vernunft, noch das Mitleid, noch die Ehre dürfen wir mit der geringsten Aussicht auf Erfolg anrufen. Es handelt sich ausschließlich darum, die Ordnung der Welt so umzugestalten, dass kein Mensch, auch nicht ein einziger, weder in Freundes- noch in Feindesland, die geringste Aussicht hat, seine persönlichen Verhältnisse durch einen Krieg zu verbessern. Unmöglich? So lange das unmöglich ist, hat die Friedensbewegung nicht die entfernteste Aussicht auf Erfolg. Mit Tiefsinn und Sentimentalitäten werdet ihr weder die Herzen der Diplomaten, noch die der Attaches, noch die der Generäle, noch die der Heereslieferanten rühren. 


Gute Nacht!

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