von Johan Huizinga
Die Ausnahme- und Sonderstellung
des Spiels wird in bezeichnender Weise darin offenbar, dass es sich so
gern mit einem Geheimnis umgibt.
Schon kleine Kinder erhöhen den Reiz
ihres Spiels dadurch, dass sie eine kleine Heimlichkeit daraus machen.
Das ist etwas für uns, nicht für die anderen. Was die anderen da draußen
tun, geht uns eine Zeitlang nichts an. In der Sphäre eines Spiels haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung. Wir «sind» und wir «machen» es «anders».
Diese
zeitweilige Aufhebung der «gewöhnlichen Welt» ist bereits im
Kinderleben völlig ausgebildet, ebenso deutlich sieht man sie aber bei
den großen, im Kult verankerten Spielen der Naturvölker. Während des
großen Einweihungsfestes, bei dem die Jünglinge in die
Männergemeinschaft aufgenommen werden, sind nicht nur sie selber von dem
gewöhnlichen Gesetz und den gewöhnlichen Regeln entbunden; im ganzen
Stamm ruhen die Fehden. Alle Vergeltungstaten sind vorläufig ausgesetzt.
Die zeitweilige Aufhebung des gewohnten Gesellschaftslebens einer großen
heiligen Spielzeit zuliebe lässt sich auch in fortgeschrittenen Kulturen
noch in zahlreichen Spuren finden. Hierzu gehört alles, was mit
Saturnalien und Karnevalssitten verwandt ist. Auch bei uns kannte eine
Vergangenheit mit rauheren privaten Sitten, ausgeprägteren
Standesprivilegien und gemütlicherer Polizei noch die saturnalische
Freiheit der jungen Leute des Stammes unter dem Namen
«Studentenstreiche». An englischen Universitäten lebt sie formalisiert
weiter im «Ragging», das im Lexikon als «an extensive display of noisy
disorderly conduct, carried out in defiance of authority and discipline» beschrieben wird.
Das
Anderssein und das Geheime des Spiels findet sichtbarsten Ausdruck in
der Vermummung. In dieser wird «das Außergewöhnliche» des Spiels
vollkommen. Der Verkleidete oder Maskierte «spielt» ein anderes Wesen.
Er «ist» ein anderes Wesen. Kinderschreck, ausgelassene Lustigkeit,
heiliger Ritus und mystische Phantasie gehen in allem, was Maske und
Verkleidung heißt, unauflösbar durcheinander.
Der Form nach
betrachtet, kann man das Spiel also zusammenfassend eine freie Handlung
nennen, die als «nicht so gemeint» und außerhalb des gewöhnlichen Lebens
stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen
kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein
Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit
und eines eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln
ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die
ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben.
Gute Nacht!
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