Sonntag, 29. November 2015

Homo Ludens

von Johan Huizinga
Die Ausnahme- und Sonderstellung des Spiels wird in bezeichnender Weise darin offenbar, dass es sich so gern mit einem Geheimnis umgibt.
Schon kleine Kinder erhöhen den Reiz ihres Spiels dadurch, dass sie eine kleine Heimlichkeit daraus machen. Das ist etwas für uns, nicht für die anderen. Was die anderen da draußen tun, geht uns eine Zeitlang nichts an. In der Sphäre eines Spiels haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung. Wir «sind» und wir «machen» es «anders».
Diese zeitweilige Aufhebung der «gewöhnlichen Welt» ist bereits im Kinderleben völlig ausgebildet, ebenso deutlich sieht man sie aber bei den großen, im Kult verankerten Spielen der Naturvölker. Während des großen Einweihungsfestes, bei dem die Jünglinge in die Männergemeinschaft aufgenommen werden, sind nicht nur sie selber von dem gewöhnlichen Gesetz und den gewöhnlichen Regeln entbunden; im ganzen Stamm ruhen die Fehden. Alle Vergeltungstaten sind vorläufig ausgesetzt. Die zeitweilige Aufhebung des gewohnten Gesellschaftslebens einer großen heiligen Spielzeit zuliebe lässt sich auch in fortgeschrittenen Kulturen noch in zahlreichen Spuren finden. Hierzu gehört alles, was mit Saturnalien und Karnevalssitten verwandt ist. Auch bei uns kannte eine Vergangenheit mit rauheren privaten Sitten, ausgeprägteren Standesprivilegien und gemütlicherer Polizei noch die saturnalische Freiheit der jungen Leute des Stammes unter dem Namen «Studentenstreiche». An englischen Universitäten lebt sie formalisiert weiter im «Ragging», das im Lexikon als «an extensive display of noisy disorderly conduct, carried out in defiance of authority and discipline» beschrieben wird.
Das Anderssein und das Geheime des Spiels findet sichtbarsten Ausdruck in der Vermummung. In dieser wird «das Außergewöhnliche» des Spiels vollkommen. Der Verkleidete oder Maskierte «spielt» ein anderes Wesen. Er «ist» ein anderes Wesen. Kinderschreck, ausgelassene Lustigkeit, heiliger Ritus und mystische Phantasie gehen in allem, was Maske und Verkleidung heißt, unauflösbar durcheinander.
Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel also zusammenfassend eine freie Handlung nennen, die als «nicht so gemeint» und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben.


Gute Nacht!

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