Mittwoch, 2. Juli 2014

Jeder, der seinen Weg geht...

von Hermann Hesse
 

Jeder, der seinen Weg geht, ist ein Held. Jeder, der das wirklich tut und lebt, wozu er fähig ist, ist ein Held — und selbst wenn er dabei das Dumme oder Rückständige tut, ist er viel mehr als tausend andere, die von ihren schönen Idealen bloß reden, ohne sich ihnen zu opfern.
Dies gehört zu den Verwicklungen beim Betrachten der Welt: dass die schönen Gedanken, Ideale und Meinungen gar nicht immer auch in Händen der Edelsten und Besten sind.
Es kann ein Mensch für veraltete, überholte Götter aufs edelste kämpfen und sterben, er macht dann vielleicht den Eindruck eines Don Quichote, aber Don Quichote ist ja durch und durch Held, ist durch und durch adlig.
Umgekehrt kann ein Mensch sehr klug, belesen, redegeschickt sein, und schöne Bücher schreiben oder Reden halten, mit den bestechendsten Gedanken und Ideen, und kann doch bloß ein Schwätzer sein, der bei der ersten ernsten Forderung nach Opfer und Verwirklichung davonläuft.
Der »Held« ist nicht der gehorsame, brave Bürger und Pflichterfüller. Heldisch kann nur der Einzelne sein, der seinen »eigenen Sinn«, seinen edlen, natürlichen Eigensinn zu seinem Schicksal gemacht hat. »Schicksal und Gemüt sind Namen eines Begriffes«, hat Novalis gesagt, einer der tiefsten und unbekanntesten deutschen Geister.
Aber nur der Held ist es, der den Mut zu seinem Schicksal findet.
Würde die Mehrzahl der Menschen diesen Mut und Eigensinn haben, so sähe die Erde anders aus.


Gute Nacht!

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