Sonntag, 20. Juli 2014

Das höchste Gut

von Boethius

Einige, die es für das höchste Glück halten, an nichts Mangel zu haben, setzen ihre Mühen daran, in Reichtum zu schwimmen; andere erkennen als das Gute dasjenige, was der Verehrung am würdigsten ist; so streben sie danach, Auszeichnungen zu erlangen und bei ihren Mitbürgern in, höchster Achtung zu stehen.
Manche setzen das höchste Gut in die höchste Macht; sie versuchen, selbst zu herrschen oder sich an die Herrscher zu drängen. Diejenigen wiederum, denen Berühmtheit als das Beste erscheint, eifern danach, mit den Künsten des Krieges oder des Friedens die Herrlichkeit ihres Namens auszubreiten. Weitaus die meisten messen die Frucht des Guten ab nach Freude und Heiterkeit; sie halten es für das Allerglücklichste, in Vergnügungen zu zerfließen. Manche vertauschen auch die einzelnen Zwecke und Ursachen miteinander: sie ersehnen dann Reichtum um der Macht und Lust willen, oder Macht um des Geldes oder der Verbreitung ihres Namens willen. Um diese und ähnliche Absichten kreisen alle menschlichen Handlungen und Wünsche, wie denn Adel und Volksgunst eine Art Glanz zu verleihen scheinen, wie man Weib und Kind um der Lieblichkeit willen sucht; Freundschaft aber, die lauterste Art, ist nicht zum Glück, sondern zur Tugend zu zählen. Alles übrige aber eignet man sich um der Macht oder um des Ergötzens willen an. Daß auch die Güter des Körpers zu den oben genannten zu rechnen sind, liegt auf der Hand. Denn Stärke und Größe scheinen Tüchtigkeit zu verleihen, Schönheit und Behendigkeit Ansehen, Gesundheit Vergnügen zu gewähren; es ist klar, daß in allem diesem nur die Glückseligkeit gewünscht wird; denn was jemand vor allem andern erstrebt, das hält er für das höchste Gut. Aber wir haben als höchstes Gut die Glückseligkeit bestimmt, also hält jeder den Zustand für glückselig, den er vor andern erstrebt.


Gute Nacht!

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