von Johann Gottfried Herder
Sie fürchten, daß man dem Wort Humanität einen Fleck anhängen werde; könnten wir nicht das Wort ändern? Menschheit, Menschlichkeit, Menschenrechte, Menschenpflichten, Menschenwürde, Menschenliebe?
Menschen sind wir allesamt und tragen sofern die Menschheit an uns, oder wir gehören zur Menschheit. Leider aber hat man in unserer Sprache dem Wort Mensch und noch mehr dem barmherzigen Wort Menschlichkeit
so oft eine Nebenbedeutung von Niedrigkeit, Schwäche und falschem
Mitleid angehängt, daß man jenes nur mit einem Blick der Verachtung,
dies mit einem Achselzucken zu begleiten gewohnt ist. »Der Mensch!«
sagen wir jammernd oder verachtend und glauben einen guten Mann aufs
lindeste mit dem Ausdruck zu entschuldigen, »es habe ihn die Menschlichkeit
übereilet«. Kein Vernünftiger billigt es, daß man den Charakter des
Geschlechts, zu dem wir gehören, so barbarisch hinabgesetzt hat; man hat
hiemit unweiser gehandelt, als wenn man den Namen seiner Stadt oder
Landsmannschaft zum Ekelnamen machte. Wir also wollen uns hüten, daß wir
zu Beförderung solcher Menschlichkeit keine Briefe schreiben.
Der Name Menschenrechte kann ohne Menschenpflichten nicht genannt werden; beide beziehen sich aufeinander, und für beide suchen wir ein Wort.
So auch Menschenwürde und Menschenliebe.
Das Menschengeschlecht, wie es jetzt ist und wahrscheinlich lange noch
sein wird, hat seinem größesten Teil nach keine Würde; man darf es eher
bemitleiden als verehren. Es soll aber zum Charakter seines Geschlechts, mithin auch zu dessen Wert und Würde gebildet werden. Das schöne Wort Menschenliebe
ist so trivial worden, daß man meistens die Menschen liebt, um keinen
unter den Menschen wirksam zu lieben. Alle diese Worte enthalten
Teilbegriffe unseres Zwecks, den wir gern mit einem Ausdruck bezeichnen möchten.
Also wollen wir bei dem Wort Humanität bleiben, an welches unter Alten und Neuern die besten Schriftsteller so würdige Begriffe geknüpft haben. Humanität ist der Charakter unsres Geschlechts;
er ist uns aber nur in Anlagen angeboren und muß uns eigentlich
angebildet werden. Wir bringen ihn nicht fertig auf die Welt mit; auf
der Welt aber soll er das Ziel unsres Bestrebens, die Summe unsrer
Übungen, unser Wert sein; denn eine Angelität im Menschen kennen
wir nicht, und wenn der Dämon, der uns regiert, kein humaner Dämon ist,
werden wir Plagegeister der Menschen. Das Göttliche in unserm Geschlecht ist also Bildung zur Humanität;
alle großen und guten Menschen, Gesetzgeber, Erfinder, Philosophen,
Dichter, Künstler, jeder edle Mensch in seinem Stande, bei der Erziehung
seiner Kinder, bei der Beobachtung seiner Pflichten, durch Beispiel,
Werk, Institut und Lehre hat dazu mitgeholfen. Humanität ist der Schatz
und die Ausbeute aller menschlichen Bemühungen, gleichsam die Kunst unsres Geschlechtes.
Die Bildung zu ihr ist ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muß,
oder wir sinken, höhere und niedere Stände, zur rohen Tierheit, zur
Brutalität zurück.
Sollte das Wort Humanität also unsre Sprache
verunzieren? Alle gebildete Nationen haben es in ihre Mundart
aufgenommen; und wenn unsre Briefe einem Fremden in die Hand kämen,
müßten sie ihm wenigstens unverfänglich scheinen; denn Briefe zu Beförderung der Brutalität wird doch kein ehrliebender Mensch wollen geschrieben haben.
Gute Nacht!
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