von Christoph Meckel
Im erwachsenen
Menschen steckt ein Kind, das will spielen. Es steckt in ihm ein
Befehlshaber, der will strafen. In meinem erwachsenen Vater steckte ein
Kind, das mit den Kindern Himmel auf Erden spielte. Es lebte in ihm eine
Sorte Offizier. die bestrafen wollte im Namen der Disziplin. Nutzlose
Affenliebe des glücklichen Vaters. Hinter dem Verschwender von
Zuckerbroten kam ein Offizier mit der Peitsche daher. Der hielt für
seine Kinder Strafen bereit. Der beherrschte so etwas wie ein System von
Strafen. ein ganzes Register. Zu Anfang gab es Schelte und Wutausbruch -
das war erträglich und ging wie der Donner vorbei. Dann kam das Ziehen,
Drehen und Kneifen am Ohr, die Ohrfeige und der berühmte Katzenkopf. Es
folgte die Verbannung aus dem Zimmer, danach das Fortgesperrtsein ins
Kellerloch. Und weiter: die Kindsperson wurde ignoriert, durch
strafendes Schweigen gedemütigt und beschämt. Es wurde zu Besorgungen
mißbraucht, ins Bett verurteilt oder zum Kohleschleppen abkommandiert.
Zum Schluß. als Mahnmal und Höhepunkt erfolgte die Strafe, die Strafe
schlechthin, die exemplarische Bestrafung. Das war die Prügelstrafe. Die
Prügel erfolgten gnadenlos und präzis, laut oder leise gezählt, und
ohne Bewährung.
Erstmals im Alter von vier Jahren wurde mein Glauben
an den Vater verletzt. [...] Zehn Tage lang, zu lang für jedes Gewissen,
segnete mein Vater die ausgestreckten, vier Jahre alten Handflächen
seines Kindes mit scharfem Stöckchen. Sieben Tatzen täglich auf jede
Hand: macht hundertvierzig Tatzen und etwas mehr: es machte der Unschuld
des Kindes ein Ende. Was immer im Paradies geschah, mit Adam, Eva,
Lilith, Schlange und Apfel, das gerechte biblische Schlagwetter vor der
Zeit, das Gebrüll des Allmächtigen und sein ausweisender Finger – ich
weiß davon nichts. Es war mein Vater, der mich von dort vertrieb.
Gute Nacht!
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