von Immanuel Kant
Es ist ein Unglück, daß
der Begriff der Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist, daß,
obgleich jeder Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals
bestimmt und mit sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich
wünsche und wolle. Die Ursache davon ist: daß alle Elemente, die zum
Begriff der Glückseligkeit gehören, insgesamt empirisch sind, d.i. aus
der Erfahrung müssen entlehnt werden, daß gleichwohl zur Idee der
Glückseligkeit ein absolutes Ganzes, ein Maximum des Wohlbefindens, in
meinem gegenwärtigen und jedem zukünftigen Zustande erforderlich ist.
Nun ist's unmöglich, daß das einsehendste und zugleich
allervermögendste, aber doch endliche Wesen sich einen bestimmten
Begriff von dem mache, was er hier eigentlich wolle. Will er Reichtum,
wie viel Sorge, Neid und Nachstellung könnte er sich dadurch nicht auf
den Hals ziehen. Will er viel Erkenntnis und Einsicht, vielleicht könnte
das ein nur um desto schärferes Auge werden, um die Übel, die sich für
ihn jetzt noch verbergen und doch nicht vermieden werden können, ihm nur
um desto schrecklicher zu zeigen, oder seinen Begierden, die ihm schon
genug zu schaffen machen, noch mehr Bedürfnisse aufzubürden. Will er ein
langes Leben, wer steht ihm dafür, daß es nicht ein langes Elend sein
würde? Will er wenigstens Gesundheit, wie oft hat noch Ungemächlichkeit
des Körpers von Ausschweifung abgehalten, darein unbeschränkte
Gesundheit würde haben fallen lassen, u.s.w. Kurz, er ist nicht
vermögend, nach irgend einem Grundsatze, mit völliger Gewißheit zu
bestimmen, was ihn wahrhaftig glücklich machen werde, darum, weil hiezu
Allwissenheit erforderlich sein würde. Man kann also nicht nach
bestimmten Prinzipien handeln, um glücklich zu sein, sondern nur nach
empirischen Ratschlägen, z.B. der Diät, der Sparsamkeit, der
Höflichkeit, der Zurückhaltung u.s.w., von welchen die Erfahrung lehrt,
daß sie das Wohlbefinden im Durchschnitt am meisten befördern.
Gute Nacht!
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