von Albert Schweitzer
Die Ethik das
Ehrfurcht vor dem Leben erkennt keine relative Ethik an. Als gut lässt
sie nur Erhaltung und Förderung von Leben gelten. Alles Vernichten und
Schädigen von Leben, wenn es uns nicht durch das Schicksal auferlegt
ist, empfindet sie als böse. Gebrauchsfertig zu beziehende Ausgleiche
von Ethik und Notwendigkeit hält sie nicht auf Lager. Immer verlangt sie
von uns, dass wir in jedem Fall selber entscheiden, inwieweit wir
ethisch bleiben können und inwieweit wir uns der Notwendigkeit von
Schädigung und Vernichtung von Leben unterwerfen müssen und damit
schuldig werden. Immer mehr müssen wir von der Sehnsucht erfasst werden,
Leben zu erhalten und Leben zu fördern. In der Gesinnung der Ehrfurcht
vor dem Leben liegt ein elementarer Begriff von Verantwortung
beschlossen, dem wir uns ergeben müssen. Immer von neuem und in immer
originaler Weise setzt die absolute Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben
sich im Menschen mit der Wirklichkeit auseinander. Sie tut die Konflikte
nicht für ihn ab, sondern zwingt ihn, sich in jedem Falle selber zu
entscheiden, inwieweit er ethisch bleiben kann und inwieweit er sich der
Notwendigkeit von Vernichtung und Schädigung von Leben unterwerfen und
damit Schuld auf sich nehmen muss. Nicht durch empfangene Anleitung zu
Ausgleichen zwischen ethisch und notwendig kommt der Mensch in der Ethik
voran, sondern nur dadurch, dass er die Stimme des Ethischen immer
lauter vernimmt, dass er immer mehr von Sehnsucht beherrscht wird, Leben
zu erhalten und zu fördern, und dass er in dem Widerstande gegen die
Notwendigkeit des Vernichtens und Schädigens von Leben immer
hartnäckiger wird. Nur subjektive Entscheide kann der Mensch in den
ethischen Konflikten treffen. Niemand kann für ihn bestimmen, wo jedes
Mal die äußerste Grenze der Möglichkeit des Verharrens in der Erhaltung
und Förderung von Leben liegt. Er allein hat es zu beurteilen, indem er
sich dabei von der aufs höchste gesteigerten Verantwortung gegen das
andere Leben leiten lässt.
Gute Nacht!
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