Mittwoch, 4. September 2013

Vom Alter – De senectute

von Norberto Bobbio

Die Welt der alten Menschen, aller alten Menschen, ist in mehr oder weniger ausgeprägter Form die Welt der Erinnerung. Man sagt: am Ende bist du das, was du gedacht, geliebt, vollbracht hast. Ich möchte hinzufügen: du bist das, was du erinnerst. Außer den Gefühlen, die du geweckt hast, den Gedanken, die du gedacht hast, den Taten, die du vollbracht hast, sind die Erinnerungen, die du bewahrt und nicht in dir ausgelöscht hast, deine Reichtümer, und du bist nun ihr einziger Wächter. Die Dimension, in der der alte Mensch lebt, ist die Vergangenheit. Die Zeitspanne, die die Zukunft noch für ihn bereithält, ist zu kurz, als dass er sich Gedanken um das machen müsste, was kommen wird.

Verschwende die kurze Zeit nicht, die dir noch bleibt. Geh deinen Weg in Gedanken noch einmal. Die Erinnerungen werden dir helfen. Aber die Erinnerungen werden nicht auftauchen, wenn du nicht hingehst, sie in den entferntesten Winkeln deines Gedächtnisses aufzustöbern. (...) In der Erinnerung findest du (...) dich selber wieder, deine Identität. Die meisten von denen, die zu deiner Begleitung gehörten, haben dich inzwischen verlassen. (...) In dem Moment, da du sie dir ins Gedächtnis zurückrufst, lässt du sie wieder leben, einen Moment wenigstens, und damit sind sie nicht gänzlich tot, sind nicht vollkommen im Nichts verschwunden (...).

Gute Nacht!

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