von Erich Fromm
Ich glaube, dass
jeder Mensch die Menschheit repräsentiert. Wir unterscheiden uns in
bezug auf unsere Intelligenz, unsere Gesundheit und unsere Begabung. Und
trotzdem sind wir alle gleich: Wir alle sind Heilige und Sünder,
Erwachsene und Kinder, und keiner steht über dem anderen oder ist sein
Richter. Wir alle wurden mit Buddha erleuchtet und mit Christus
gekreuzigt, und wir alle haben mit Dschingis Khan, mit Stalin und Hitler
gemordet und geraubt.
Ich glaube, dass die eine Welt, die im
Entstehen begriffen ist, nur dann Wirklichkeit werden kann, wenn ein
neuer Mensch entsteht. Ein Mensch, der sich von den archaischen
Bindungen an Blut und Boden freigemacht hat, der sich als Menschensohn,
als Weltbürger fühlt und dessen Loyalität der ganzen Menschheit und dem
Leben und nicht einem exklusiven Teil derselben gehört. Ein Mensch, der
sein Vaterland liebt, weil er die Menschen liebt. Und dessen Urteilsfähigkeit nicht durch seine stammesmäßige Zugehörigkeit geprüft wird.
Ich
glaube, dass das Wachstum des Menschen ein ständiger Geburtsprozess
ist, ein ständig neues Erwachen. Gewöhnlich sind wir im Halbschlaf und
wachen nur so weit auf, wie wir unseren Geschäften nachgehen müssen.
Aber wir sind nicht wach genug, um dem Leben gerecht zu werden, worauf
es doch allein ankommt. Die großen Führer der Menschheit sind Menschen,
die andere aus ihrem Halbschlaf aufgeweckt haben. Die großen Feinde der
Menschheit sind die, welche die anderen eingeschläfert haben, wobei es
keine Rolle spielt, ob ihr Schlaftrunk die Verehrung Gottes oder die des
goldenen Kalbes ist.
Gute Nacht!
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