von François de La Rochefoucauld
Die
Leidenschaft ist der einzige Redner, der immer überredet. Sie gleicht
einer Kunst der Natur, deren Regeln unfehlbar sind; und der einfältigste
Mensch, aus dem die Leidenschaft spricht, überzeugt mehr als der
beredteste ohne Leidenschaft.
Den Leidenschaften eignet eine
Ungerechtigkeit und ein Eigennutz, denen zu folgen gefährlich ist; man
muß ihnen daher mißtrauen, selbst wenn sie noch so vernünftig
erscheinen.
Das menschliche Herz ist eine unerschöpfliche Quelle von
Leidenschaften, so dass fast stets das Versiegen der einen zum Ursprung
einer anderen wird.
Leidenschaften erzeugen oft andere, die ihnen
entgegengesetzt sind: so der Geiz Verschwendung und die Verschwendung
Geiz. Man ist oft unnachgiebig aus Schwäche und tapfer aus Furcht.
Wie
sehr man sich auch bemüht, seine Leidenschaften durch den Anschein von
Frömmigkeit und Ehre zu verbergen, sie blicken stets durch diese
Schleier hindurch.
Die Eifersucht ist in einem gewissen Sinne
berechtigt und vernünftig, weil sie danach strebt, uns ein Gut zu
bewahren, das uns wirklich oder unserer Meinung nach gehört. Aber der
Neid ist eine Leidenschaft, die das Gut anderer nicht ertragen kann.
Man
prahlt oft mit Leidenschaften, selbst mit verbrecherischen. Aber der
Neid ist eine scheue und verschämte Leidenschaft, die man nie
einzugestehen wagt.
Trennung läßt die schwächere Leidenschaft
abnehmen und die große wachsen: wie der Wind die Kerzen auslöscht und
das Feuer anfacht.
Bei keiner Leidenschaft herrscht die Selbstliebe
so gewaltig wie bei der Liebe, und man ist stets mehr geneigt, die Ruhe
der geliebten Person aufzuopfern, als die eigene zu verlieren.
Gute Nacht!
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