von Karl Popper
Wir im Westen glauben an
die Demokratie nur in diesem nüchternen Sinn – als eine Staatsform des
kleinsten Übels. So hat sie auch der Mann geschildert, der die
Demokratie und den Westen gerettet hat. »Die Demokratie ist die
schlechteste aller Regierungsformen«, so sagte einst Winston Churchill,
»ausgenommen alle anderen Regierungsformen.«
Platons Frage »Wer soll
regieren? Wer soll die Macht haben?« ist also falsch gestellt. Wir
glauben an die Demokratie, aber nicht, weil in der Demokratie das Volk
herrscht. Weder Sie noch ich herrschen; im Gegenteil, Sie sowohl wie
ich, wir werden regiert, und manchmal mehr als uns lieb ist. Wir glauben
an die Demokratie als die einzige Regierungsform, die mit politischer
Opposition und daher mit der politischen Freiheit verträglich ist.
Leider
wurde Platons Problem »Wer soll herrschen?« von den Staatstheoretikern
niemals klar abgelehnt. Im Gegenteil, Rousseau stellte dieselbe Frage,
antwortete aber, umgekehrt wie Platon: »Der allgemeine Wille [des
Volkes] soll herrschen – der Wille der vielen, nicht der der wenigen«;
eine gefährliche Antwort, da sie zur Mythologie und Vergöttlichung des
»Volkes« und seines »Willens« führt. Und auch Marx fragte, ganz im Sinn
Platons: »Wer soll herrschen, die Kapitalisten oder die Proletarier?«;
und auch er antwortete: »Die vielen sollen herrschen, nicht die wenigen;
die Proletarier, nicht die Kapitalisten.«
[...]
Aber, so fragen
unsere Gebildeten und Halbgebildeten, kann es recht sein, dass meine
Stimme nicht mehr gelten soll als die eines ungebildeten Straßenkehrers?
Gibt es nicht eine Elite des Geistes, die weiter sieht als die Masse
der Ungebildeten und der deshalb ein größerer Einfluss auf die großen
politischen Entscheidungen eingeräumt werden sollte?
Die Antwort ist,
dass leider die Gebildeten und Halbgebildeten auf alle Fälle einen
größeren Einfluss haben. Sie schreiben Bücher und Zeitungen, sie lehren
und halten Vorträge, sie sprechen in Diskussionen und können als
Mitglieder ihrer politischen Partei ihren Einfluss ausüben. Ich will
aber nicht sagen, dass ich es für gut halte, dass der Einfluss der
Gebildeten größer ist als der der Straßenkehrer. Denn die Platonische
Idee von der Herrschaft der Weisen und Guten ist meiner Meinung nach
unbedingt abzulehnen. Wer entscheidet denn über die Weisheit und
Unweisheit? Sind nicht die Weisesten und Besten gekreuzigt worden – und
von denen, die als weise und gut anerkannt waren?
Gute Nacht!
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