von Hermann Hesse
Bäume sind für mich immer die
eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern
und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich
sie, wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame. Nicht wie
Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben,
sondern wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche.
In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen;
allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft
ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu
erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen.
Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker
Baum.
Wenn ein Baum umgesägt worden ist und seine nackte Todeswunde
der Sonne zeigt, dann kann man auf der lichten Scheibe seines Stumpfes
und Grabmals seine ganze Geschichte lesen: in den Jahresringen und
Verwachsungen steht aller Kampf, alles Leid, alle Krankheit, alles Glück
und Gedeihen treu geschrieben, schmale Jahre und üppige Jahre,
überstandene Angriffe, überdauerte Stürme. Und jeder Bauernjunge weiß,
daß das härteste und edelste Holz die engsten Ringe hat, daß hoch auf
Bergen und in immerwährender Gefahr die unzerstörbarsten,kraftvollsten,
vorbildlichsten Stämme wachsen.
Gute Nacht!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen