von Karl Jaspers
Die Demokratie setzt die Vernunft im Volke voraus, die sie erst
hervorbringen soll. Die widervernünftige Gewalt verschwindet nicht,
solange nicht alle vernünftig sind. Wenn aber die Vernunft das Volk im
Stiche lässt, was dann? Man kann unterscheiden den Willen der
augenblicklichen Mehrheit und den vernünftigen Grundwillen in dem
dauernden Wesen des Volkes. Jener augenblickliche Wille kann irren. Die
Minorität, vielleicht sehr wenige können aus jenem Grundwillen die
Wahrheit vertreten. Aber in der Realität gibt es kein Organ, das Instanz
jenes Grundwillens wäre. Jede Einrichtung, das Staatsoberhaupt, das
kleinste Gremium, Parlament und Volksabstimmung - jede kann versagen und
dem Widervernünftigen verfallen. Wir sind gebunden an reale Instanzen.
In der Demokratie sind wir an Majoritäten gebunden mit der
Voraussetzung, dass deren Beschlüsse in der Folge als irrig korrigiert
werden können. Wenn aber der Beschluss jede Korrektur ausschließt, da er
schlechthin vernichtend wirkt? Den Missbrauch der Einrichtungen der
Demokratie gegen die Idee der Demokratie mit Sicherheit zu verhindern,
ist keine Einrichtung fähig, sondern nur die dauernde vernünftige
Gesinnung der Menschen, die jener Einrichtungen sich bedienen.
Gute Nacht!
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