Sonntag, 24. September 2017

Über Demokratie und Vernunft

von Karl Jaspers

Die Demokratie setzt die Vernunft im Volke voraus, die sie erst hervorbringen soll. Die widervernünftige Gewalt verschwindet nicht, solange nicht alle vernünftig sind. Wenn aber die Vernunft das Volk im Stiche lässt, was dann? Man kann unterscheiden den Willen der augenblicklichen Mehrheit und den vernünftigen Grundwillen in dem dauernden Wesen des Volkes. Jener augenblickliche Wille kann irren. Die Minorität, vielleicht sehr wenige können aus jenem Grundwillen die Wahrheit vertreten. Aber in der Realität gibt es kein Organ, das Instanz jenes Grundwillens wäre. Jede Einrichtung, das Staatsoberhaupt, das kleinste Gremium, Parlament und Volksabstimmung - jede kann versagen und dem Widervernünftigen verfallen. Wir sind gebunden an reale Instanzen. In der Demokratie sind wir an Majoritäten gebunden mit der Voraussetzung, dass deren Beschlüsse in der Folge als irrig korrigiert werden können. Wenn aber der Beschluss jede Korrektur ausschließt, da er schlechthin vernichtend wirkt? Den Missbrauch der Einrichtungen der Demokratie gegen die Idee der Demokratie mit Sicherheit zu verhindern, ist keine Einrichtung fähig, sondern nur die dauernde vernünftige Gesinnung der Menschen, die jener Einrichtungen sich bedienen. 

Gute Nacht!

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