von Gottfried Honnefelder
"Was ist die Zeit?
Wenn mich jemand darüber fragte, weiß ich es. Wenn ich es aber jemandem
auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht." sagt Augustinus.
Der
Mensch lebt in der Zeit, und er weiß dies; darum kann er nach ihr
fragen, und vermag doch keine rechte Antwort auf seine Frage zu finden.
Er glaubt sich Herr seiner Zeit und ist ihr doch unterworfen, steht ihr
gegenüber und ist zugleich in sie verstrickt. Er lebt nie anders als im
Vorgriff auf die Zukunft, neue Welten entwerfend, und er kann dies nur
kraft eines Rückgriffs auf die Vergangenheit - und sei es in der Weise
des Protests. Die Zeit ist der Raum seiner Freiheit, die Geschichte ihr
Resultat, deshalb lebt er nie anders als in der Geschichte. Aus ihr
kommt er, sie gibt ihm Herkunft, Name, Rolle, in ihr bewegt er sich, ob
er sie nun verneint oder bejaht, sie führt er fort, indem er sie bewahrt
oder verwirft.
Sein Verhältnis zur Zeit gewinnt der Mensch aber erst
durch Bilder und Sprache. Sie erlauben ihm, Vergangenes festzuhalten,
Erfahrungen nicht nur zu machen, sondern auch weiterzugeben, Traditionen
zu bilden, Geschichte und Geschichten zu erzählen. Sie befähigen ihn,
das Gegenwärtige zu deuten und ermöglicht ihm zugleich, fiktive Welten
zu erschaffen, Utopien zu entwerfen und sich selbst in anderen Entwürfen
zu sehen.
Dies alles vermag Sprache, weil sie in der Folge ihrer Zeichen selbstgestaltete Zeit ist.
Gute Nacht!
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