von Hermann Hesse
Es ist immer schwer, geboren zu werden. Sie wissen,
der Vogel hat Mühe, aus dem Ei zu kommen. Denken Sie zurück und fragen
Sie: war der Weg denn so schwer? nur schwer? War er nicht auch schön?
Hätten Sie einen schöneren, einen leichteren gewußt?... man muß seinen
Traum finden, dann wird der Weg leicht. Aber es gibt keinen
immerwährenden Traum, jeden löst ein neuer ab, und keinen darf man
festhalten wollen.
Die Not der Jugend ... hört mit der Jugend nicht
auf, geht sie aber doch am meisten an. Es ist der Kampf um die
Individualisierung, um das Entstehen einer Persönlichkeit.
Nicht
jedem Menschen ist es gegeben, eine Persönlichkeit zu werden, die
meisten bleiben Exemplare und kennen die Nöte der Individualisierung gar
nicht. Wer sie aber kennt und erlebt, der erfährt auch unfehlbar, daß
diese Kämpfe ihm mit dem Durchschnitt, dem normalen Leben, dem
Hergebrachten und Bürgerlichen in Konflikt bringen. Aus den zwei
entgegengesetzten Kräften, dem Drang nach einem persönlichen Leben und
der Forderung der Umwelt nach Anpassung, entsteht die Persönlichkeit.
Keine entsteht ohne revolutionäre Erlebnisse, aber der Grad ist
natürlich bei allen Menschen verschieden, wie auch die Fähigkeit, ein
wirklich persönliches und einmaliges Leben (also kein
Durchschnittsleben) zu führen ...
Der werdende junge Mensch, wenn er
den Drang zu starker Individualisierung hat, wenn er vom Durchschnitts-
und Allerwelts-Typ stark abweicht, kommt notwendig in Lagen, die den
Anschein des Verrückten haben ... Es gilt nun nicht, seine
»Verrücktheiten« der Welt aufzuzwingen und die Welt zu revolutionieren,
sondern es gilt, sich für die Ideale und Träume der eigenen Seele gegen
die Welt so viel zu wehren, daß sie nicht verdorren. Die dunkle
Innenwelt, wo diese Träume zu Hause sind, ist beständig bedroht, sie
wird von den Kameraden verspottet, von den Erziehern gemieden, sie ist
kein fester Zustand, sondern ein beständiges Werden.
Unsre Zeit macht
es da den Feineren in der Jugend besonders schwer. Es besteht überall
das Streben, die Menschen gleichförmig zu machen und ihr Persönliches
möglichst zu beschneiden. Dagegen wehrt sich unsre Seele, mit Recht.
Ein
Lebensweg mag von gewissen Situationen aus noch so sehr determiniert
erscheinen, er trägt doch stets alle Lebensund Wandlungsmöglichkeiten in
sich, deren der Mensch selbst irgend fähig ist. Und die sind desto
größer, je mehr Kindheit, Dankbarkeit, Liebefähigkeit wir haben.
Mit
der Selbstbeschränkung des Berufes und des Mannesalters muß man seine
Jugend nicht begraben. »Jugend« ist das in uns, was Kind bleibt, und je
mehr dessen ist, desto reicher können wir auch im kühlbewußten Leben
sein.
Welchen Beruf ein junger Mann auch wähle, und wie seine
Auffassung vom Beruf und sein Eifer für ihn auch sei – immer tritt er
damit in eine organisierte, erstarrte Welt aus dem blühenden Chaos des
Jugendtraumes, und immer wird er enttäuscht sein. Diese Enttäuschung mag
an sich kein Schade sein, Ernüchterung kann auch Sieg bedeuten. Aber
die meisten Berufe, und zwar gerade die »höheren«, spekulieren in ihrer
jetzigen Organisation auf die egoistischen, feigen, bequemen Instinkte
des Menschen. Er hat es leicht, wenn er fünfe grade sein läßt, wenn er
sich duckt, wenn er den Herrn Vorgesetzten nachahmt; und er hat es
unendlich schwer, wenn er Arbeit und Verantwortlichkeit sucht und liebt.
Wie
die Herden-Jünglinge sich mit diesen Dingen abfinden, geht mich nichts
an. Die Geistigen finden hier eine gefährliche Klippe. Sie sollen die
Berufe, gerade auch die staatlich organisierten Berufe, nicht fliehen,
sie sollen sie probieren! Aber sie sollen sich nicht vom Beruf abhängig
machen.
Gute Nacht!
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