Montag, 15. August 2016

Über das Alter

von Max Frisch

Niemand will wissen, was ihm im Alter bevorsteht.
Wir sehen es zwar aus nächster Nähe täglich, aber um uns selbst zu schonen, machen wir aus dem Altern ein Tabu: der Gezeichnete selber soll verschweigen, wie widerlich das Alter ist.
Das Gebot, das Alter zu ehren, stammt aus Epochen, als hohes Alter eine Ausnahme darstellte. Wird heute ein alter Mensch gepriesen, so immer durch Attest, dass er verhältnismäßig noch jung sei, geradezu noch jugendlich.
Unser Respekt beruht immer auf einem Noch („noch unermüdlich“, „noch heute eine Erscheinung“, „durchaus noch beweglich in seinem Geist“). Unser Respekt gilt in Wahrheit nie dem Alter, sondern ausdrücklich dem Gegenteil: dass jemand trotz seiner Jahre noch nicht senil sei.


Gute Nacht!

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