Montag, 4. April 2016

Über Vernunft, Weisheit und Leidenschaft

von Cicero

Die Vernunft hat etwas Erhabenes und Großes an sich, das mehr zum Herrschen als zum Gehorchen angelegt ist. Sie erachtet alles rein erdhaft Menschliche für gering. Sie selber ist etwas Großes und Erhabenes, das nichts fürchtet, vor niemandem weicht und immer unbezwinglich bleibt.
Alles wissen wollen, was es auch immer sein mag, ist ein Zeichen von Neugier, aber durch die Beschäftigung mit großen Dingen zum Streben nach Wissenschaft geführt zu werden, darf als Kennzeichen großer Männer gelten.
Nur die Weisheit ist es, welche die Traurigkeit aus den Herzen vertreibt und die uns nicht vor Angst erstarren lässt. Unter ihrem Geleit lässt sich im Seelenfrieden leben, wenn einmal die Glut der Leidenschaften gelöscht ist. Diese nämlich sind unersättlich, sie richten nicht nur den Einzelnen, sondern auch die ganze Familie zugrunde, sie erschüttern sogar den ganzen Staat.
Aus den Leidenschaften und Begierden entstehen Hass, Zerwürfnis, Zwietracht, Aufstand und Krieg. Sie wüten nicht nur nach außen und richten sich im blinden Hass nicht nur gegen Andere, auch drinnen im eigenen Herzen sind sie zerstritten und leben im Widerstreit miteinander. Daraus kann ja nur ein Leben voller Bitterkeit entstehen. Deshalb vermag nur der Weise, der alle Eitelkeit der Welt und allen Irrtum beseitigt hat, der mit den von der Natur gezogenen Grenzen zufrieden ist, ohne Verdruss und Angst zu leben.
 
Gute Nacht!

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