Sonntag, 17. Januar 2016

Neue Wellen

von Ödön von Horváth

Während ich schreibe, höre ich draußen das Meer.
Denn mein Haus steht am Ufer.
Und das Meer will über das Ufer, es brandet und braust und der Sturm springt über das Dach, als wär die Welt ein Märchen.
Es ist zwar nicht mein Dach, unter dem ich da sitze und schreibe, es gehört einem alten Fischer und ich hab nur ein Zimmer gemietet, aber man sagt halt so, dass einem das Haus gehört, wenn man drinnen wohnt. Mir gehört eigentlich nichts. Nur der Koffer und eine alte Schreibmaschine – und ohne diese könnt ich kaum leben, denn die gehört zu meinem Beruf.
Ich bin nämlich Schriftsteller, aber trotzdem gehts mir nicht schlecht – ich meine: in materieller Hinsicht. Ja, ich bin sogar in einer ausgesprochen glücklichen Lage, denn einer der angesehensten Verleger hat einen Vertrag mit mir geschlossen. Jetzt hab ich endlich Gelegenheit, richtig arbeiten zu können, da ich der brennenden Sorge um das tägliche Brot enthoben bin. Ich hab mein Bettchen und mein Süppchen. Vorerst zwar nur für ein halbes Jahr, aber heut will ich nicht weiterdenken. Ich lasse die Zukunft verschleiert und konzentriere mich mit Haut und Haar auf meine Arbeit. Ich habe die Stadt verlassen, hier in der Einsamkeit wird mir schon was einfallen. Hier bin ich mit mir allein und es stört mich nur mein eigener Schatten. Ich schreibe ein Theaterstück.
Ob es ein Trauerspiel werden wird oder ein Lustspiel – ich weiß es nicht. Ich hab einen guten Einfall, eine alltägliche Liebesgeschichte in höchstens vier Akten. Aber ich seh noch keinen richtigen Schluß. Soll die Frau sich vergiften oder nicht? Und was mach ich mit dem Mann? Vielleicht wärs doch besser, wenn sie am Leben bliebe, obwohl ich ein Realist bin.
Viele Pläne gehen durch meinen Kopf und das leere Papier ist so schrecklich weiß. Aber hier in der Einsamkeit wird sich schon alles herauskristallisieren.
Ich liebe das Meer.
Es kommt mit neuen und neuen Wellen, immer wieder, immer wieder – und ich weiß es noch nicht, ob es ein Lustspiel wird oder ein Trauerspiel.
Gestern war der Sturm noch stärker. In der Nacht sind die Netze zerrissen und ein Kahn kam nicht mehr zurück. Vielleicht taucht er auf über das Jahr mit schwarzen Segeln und fährt als Gespenst über die Wasser ohne eine Seele –
Ich weiß es noch nicht.
 
Gute Nacht!

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