von Max Frisch
Wie steht es mit dem Fremdenhass? Ich
kenne viele Landsleute, aber leider nicht aus allen
Bevölkerungsschichten; Bauern beispielsweise nicht. Beispiele von
Fremdenhass habe ich selber kaum erlebt; ich muss aber annehmen, dass es
ihn gibt. Fremdenhass ist natürlich. Er entspringt unter anderem der
Angst, dass andere in dieser oder jener Richtung begabter sein könnten,
jedenfalls sind sie anders begabt, beispielsweise in Lebensfreude,
glücklicher. Das weckt Neid, selbst wenn man der Bessergestellte ist,
und Neid ist erpicht auf Anlässe für Geringschätzung. Man ist tüchtig,
aber nun zeigt sich, daß andere es auch sind: aber ohne die
Mißmutigkeit, die wir nördlich der Alpen als Voraussetzung oder schon
als Beweis von Tüchtigkeit zu betrachten gewohnt sind. Daß die Südländer
schmutzig sind, das ist eine Hoffnung, dann sind wir, wenn wir in
dieser Welt nicht singen, dafür wenigstens sauberer; aber nicht einmal
diese Hoffnung bestätigt sich ohne weiteres: ein Landarzt versichert
mir, dass die Italiener, im Gegensatz zu einheimischen Kunden, mit
gewaschenen Füßen kommen. Von Rassenhaß in der Schweiz, wie es in
italienischen Zeitungen heißt, würde ich nicht sprechen; Fremdenhass
genügt. Das ist keine Ideologie, sondern ein Reflex.
Es braucht
wenig, dass man, um sich die Selbstprüfug zu sparen, zu Verurteilungen
übergeht: Das Fremde als das Schlechtere. Insofern ist jede
Messerstecherei eigentlich willkommen; da sieht man's mal wieder, dass
man besser ist.
[…] Aber auch wenn die Fremden, wie es sich für
Fremde gehört, sehr brav sind, etwas bleibt schwierig: sie sind da. […]
Die Konfrontation mit einer anderen Lebensart, das irritiert jenes
Selbstbewußtsein, das der Einzelne bezieht aus dem sakrosankten Eigenlob
eines nationalen Kollektivs.
Gute Nacht!
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