Montag, 25. Januar 2016

Fremdenhass

von Max Frisch

Wie steht es mit dem Fremdenhass? Ich kenne viele Landsleute, aber leider nicht aus allen Bevölkerungsschichten; Bauern beispielsweise nicht. Beispiele von Fremdenhass habe ich selber kaum erlebt; ich muss aber annehmen, dass es ihn gibt. Fremdenhass ist natürlich. Er entspringt unter anderem der Angst, dass andere in dieser oder jener Richtung begabter sein könnten, jedenfalls sind sie anders begabt, beispielsweise in Lebensfreude, glücklicher. Das weckt Neid, selbst wenn man der Bessergestellte ist, und Neid ist erpicht auf Anlässe für Geringschätzung. Man ist tüchtig, aber nun zeigt sich, daß andere es auch sind: aber ohne die Mißmutigkeit, die wir nördlich der Alpen als Voraussetzung oder schon als Beweis von Tüchtigkeit zu betrachten gewohnt sind. Daß die Südländer schmutzig sind, das ist eine Hoffnung, dann sind wir, wenn wir in dieser Welt nicht singen, dafür wenigstens sauberer; aber nicht einmal diese Hoffnung bestätigt sich ohne weiteres: ein Landarzt versichert mir, dass die Italiener, im Gegensatz zu einheimischen Kunden, mit gewaschenen Füßen kommen. Von Rassenhaß in der Schweiz, wie es in italienischen Zeitungen heißt, würde ich nicht sprechen; Fremdenhass genügt. Das ist keine Ideologie, sondern ein Reflex.
Es braucht wenig, dass man, um sich die Selbstprüfug zu sparen, zu Verurteilungen übergeht: Das Fremde als das Schlechtere. Insofern ist jede Messerstecherei eigentlich willkommen; da sieht man's mal wieder, dass man besser ist.
[…] Aber auch wenn die Fremden, wie es sich für Fremde gehört, sehr brav sind, etwas bleibt schwierig: sie sind da. […] Die Konfrontation mit einer anderen Lebensart, das irritiert jenes Selbstbewußtsein, das der Einzelne bezieht aus dem sakrosankten Eigenlob eines nationalen Kollektivs.


Gute Nacht!

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