von Seneca
Ihr lebt, als würdet ihr immer
leben; niemals werdet ihr eurer Gebrechlichkeit euch bewusst; ihr habt
nicht acht darauf, wieviel Zeit bereits vorüber ist; ihr verschwendet
sie, als wäre sie unerschöpflich, während inzwischen gerade der Tag, der
irgend einem Menschen oder einer Sache zuliebe hingegeben wird,
vielleicht der letzte ist. Ihr fürchtet alles, als wäret ihr nur
sterblich; ihr begehrt alles, als wäret ihr auch unsterblich. Wie oft
vernimmt man die Äußerung: "Mit dem fünfzigsten Jahre begebe ich mich in
den Ruhestand, mit dem sechzigsten mach' ich mich frei von aller
amtlichen Tätigkeit." Und wer leistet die Bürgschaft für ein längeres
Leben? Wer soll den Dingen gerade den Lauf geben, den du ihnen
bestimmst? Schämst du dich nicht, nur den Rest deines Lebens für dich zu
behalten und dir für dein geistiges Wohl nur diejenige Zeit
vorzubehalten, die sich zu nichts mehr verwenden lässt? Welche
Verspätung, mit dem Leben anzufangen, wenn man aufhören muss! Was für
eine Torheit, was für ein gedankenloses Übersehen der Sterblichkeit, auf
das fünfzigste und sechzigste Jahr alle Heilspläne hinauszuschieben und
es sich in den Kopf zu setzen, das Leben zu beginnen an dem Punkte, bis
zu dem es nur wenige bringen.
Gute Nacht!
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